Eine Sache der Würde

 

Ein Gerücht kommt selten allein

Die anstrengende Reise hatten ihre Muskeln und Knochen mit unsichtbarem, flüssigen Blei ummantelt, der in sanften Wogen versuchte, ihre Gedanken mit der gleichen unnachgiebigen Schwere lahm zu legen.
Ihr Weggefährte, der sich vor Tagen als Jethro Cunack vorgestellt hatte, stand neben einem Thron und erklärte leise flüsternd dem dort sitzenden Prinzen, Feach McLlyr, innerhalb weniger Minuten wohl mehr, als er es auf der Reise bei ihr getan hatte. "Zeitmagie" drang es zu ihr.
Ja, das war wohl das einzige, was sie wirklich verstanden hatte. Dieser großgewachsene Mann war in Dhanndhcaer mit versteinertem Gesicht auf sie zugetreten und hatte sie lange mit seinen grau-grünen Augen durchdringend angesehen, als wolle er etwas entdecken, was kein Spiegelbild zeigen würde. Chat Bidu hatte es als unhöflich empfunden, und sie erinnerte sich, daß es ihr sehr schwer gefallen war, dieses Ritual über sich ergehen zu lassen. Doch wenn der Rat der Druiden es gestattete, mußte es wohl sein.
Jethro hatte plötzlich nur mit dem Kopf genickt, und von da an war alles sehr schnell gegangen. Sie wurde zum Hügelvolk gesandt. Sicherlich waren die Erklärungen für ihre Reise recht schmeichelhaft, - aber eben zu schmeichelhaft für Chats Geschmack. Als sie an jenem Tag ihr Bündel packte und ihr Mentor mit einem zuckenden linken Auge ihr nochmals zu verstehen gab, daß es eine Auszeichnung war, die ihr da widerfuhr, wußte sie endgültig, daß das Gesagte dem Manne gleich kam, der behauptete Wein wegen seiner Zahnschmerzen zu trinken, obwohl sein Mund keinen einzigen Zahn mehr vorweisen konnte.
Die drei Männer vor ihr tuschelten noch, als das Schlagen einer schweren Türe sie aus ihren zäh fließenden Gedanken riß, und eine zierliche Frau in Jagdgewandung mit schnellen Schritten zum Thron lief. Mit ausgestreckten Armen und lachenden Augen wandte die Thuach na Moch sich Jethro zu.
"Jethro, hast du es mir mitgebracht?"
Das erfreute Lächeln des großen Mannes verharrte in der Überlegung, was er wohl vergessen hatte.
"War ein Scherz!" lachte die kleine Frau und umarmte den Mann mit einer Geschmeidigkeit, die den sich hinunter beugenden Mann wie einen Klotz wirken ließ, um sich sofort Arkan zuzuwenden, der ihr fröhlich entgegen zwinkerte. Wenn Jethro sich gestört fühlte, so machte er jedenfalls keinerlei Anstalten es zu zeigen.
Chat Bidu musterte das Gesicht der Frau. Sie kam ihr bekannt vor. Aber Chats Kopf weigerte sich lethargisch nachzudenken.
"Ihr seid sicherlich schrecklich müde und würdet ein Bett und ein Bad dem Stehen hier vorziehen, nicht wahr? - Ich bin übrigens Fiacha, und ich glaube, wir sind uns schon einmal begegnet, nicht wahr?"
Arkans Gesicht verzog sich zu einer gespielten leidenden Mimik.
"Fiacha, ich hatte gerade vor unseren Gast zu begrüßen und sich ausruhen zu lassen."
Jethro nickte heftig. "Wir haben nur ganz kurz die wichtigsten Dinge ausgetauscht", fuhr er fort.
"Und wieso warte ich dann schon eine halbe Stunde auf dich?"
Arkans Blick wandte sich Hilfe suchend an Jethro, der sich aber schlagartig intensiv mit der Betrachtung der Ornamentenverzierung des Deckengewölbes beschäftigte, und schließlich an Feach McLlyr, der sich scheinbar gelangweilt die Fingernägel betrachtete.
Dann wandte er sich Chat Bidu zu und räusperte sich. "Verzeiht, Chat Bidu, im hohen Alter scheint die Zeit immer schneller zu fliegen. Diener werden Euch ein Zimmer zuweisen, in dem Ihr alles vorfinden werdet, was Ihr braucht, um Euch zu erholen. Seid willkommen in meinem Volk, und seid willkommen in meinem Palast. Die Gärten..."
Fiacha lachte laut auf und unterbrach damit den Beginn einer wohl studierten, ausgedehnten Rede des ehemaligen Hügelprinzen. Verdutzt betrachtete Arkan, wie Fiacha auf Chat zuging, ihren Arm ergriff und sie zur Tür führte.
"Wir sehen uns ja gleich noch, Jethro, Feach!", warf sie in den Raum zurück und öffnete die Tür. "Ich bringe Euch lieber persönlich unter, sonst kommt Ihr vor Anbruch des neuen Morgen nicht einmal in die Nähe eines Bettes. Arkan ist kein guter Redner, und da kann es schon einmal sehr, sehr lange dauern, bis er alles gesagt hat, was er so wollte." Sie kicherte leise: "Und wenn ich als Hügelfrau von ‚sehr lange' rede, könnt ihr wirklich erleichtert sein, drumherum gekommen zu sein."

Chat Bidu erwachte nur langsam aus ihren düsteren und unheimlichen Träumen. Die Bilder der kalten, endlosen Tunnelgänge waren immer noch vor ihren Augen, und ihr ganzer Körper schmerzte vor Kälte, ungeachtet des weichen, dicken Teppichs, auf dem sie sich liegend vorfand. Irritiert richtete sie sich mühsam auf und bemerkte die Füße eines massiven Bettes zu ihrer linken Seite. Die Decken, warm und aus edlem Stoff gesponnen, lagen wild zerwühlt an dessen Fußende. So einladend diese Schlafstätte wohl auch war, so wirkte sie jetzt eher wie ein stummer Zeuge eines ausgedehnten Kampfes.
Chat Bidu starrte fassungslos auf dieses Chaos, als es klopfte und eine junge Frau ein Tablett hereintrug, um sie sogleich mit großen, erstaunten Augen zu betrachten.
"Verzeiht die Störung, aber ich dachte, Ihr seid bestimmt sehr hungrig nach Eurem ...." Sie räusperte sich verlegen lächelnd, "... Schlaf?"
Mit einem Schlag war Chat wach. Die düsteren Traumbilder verschwanden, und die Erinnerungen über die Reise kehrten wieder. Sie war im Hügelreich, in Arkans Palast. Erschöpft von der Reise hatte man ihr diesen wundervollen Raum zugewiesen, um sich auszuruhen.
Die Dienerin stellte das Tablett auf eine mit feinen Schnitzereien verzierte Truhe und wandte sich langsam mit freundlich lächelndem Gesicht wieder Chat zu. Ihre Gesichtszüge waren fein, und ihre Bewegungen hatten eine Würde, die Chat von Dienern nicht kannte. Sie fragte sich, ob wohl die gesamte Dienerschaft in diesem grandiosen Palast so anmutig und edel wirkten.
".....vielleicht leichtere Kleidung besorgen."
Kleidung ? Chat Bidu sah, immer noch auf dem Teppich kniend, an sich herunter und spürte die Welle des Blutes, das vor Scham in ihren Kopf schoß. Kein Wunder, daß ihr Körper steif vor Kälte war. Nicht ein Hauch eines Tuches bedeckte ihren Leib, und der dicke Flor unter ihr brachte auch nicht viel Wärme.
"Ich...ähh, - ja, das wäre wirklich nett", stammelte sie, schlang schützend ihre Arme um ihren Körper und wünschte sich, es wäre alles nur ein weiterer übler Traum.
Die Dienerin sah sie überrascht an.
"Aber das muß Euch doch nicht peinlich sein, Verehrteste. Ich bin sicher, daß unser Herr erfreut ist, wenn Ihr Euch hier gleich so heimisch fühlt. Ich besorge Euch sogleich neue Kleidung, - soll ich die alte reinigen lassen?"
Chat nickte, während sie versuchte sich hastig ein Bettuch um die Hüften zu schlingen.
Die junge Frau griff das Bündel zu Füßen des massiven Bettes und zog es langsam skeptisch betrachtend hoch. Chat sah aus ihren Augenwinkeln, daß von ihrer Robe nicht mehr so viel übrig war, um sie als solche noch zu bezeichnen. Hunderte von Rissen durchzogen den schweren Stoff, als sei er mit einem Messer fein säuberlich bearbeitet worden. Sie wußte sofort, daß ihr gestriger Reinigungszauber wohl daneben gegangen war.
Die Dienerin hob ihr das Bündel mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen. Chat versuchte ein Lächeln, aber es wirkte bestimmt genauso schief, wie dieser Tag für sie begonnen hatte. Doch schaffte sie es wider Erwartens mit entschlossener Stimme "Entsorgen wäre wohl angebrachter", zu sagen. "Nun, ich glaube ich muß Euch erklären..."
Die junge Dienerin schüttelte heftig ihren Kopf.
" Aber nein, - das habt Ihr nicht nötig, - ich verstehe auch so, - außerdem ist es der Wunsch meines Herrn, daß ihr Euch hier so wohl fühlt, daß ihr dieses Reich als Eure neue Heimat annehmen könnt. Und dazu gehört natürlich auch, daß Ihr Euch amüsiert."
Chat sah der Frau beim Aufsammeln der verstreuten Kleidung zu. Offensichtlich war dieses Volk netter, als es ihr beschrieben worden war, - aber wieso amüsiert? Was meinte sie damit?
"Speist erst einmal, damit Ihr Eure Kräfte wieder erlangt, und dann bin ich auch schon mit neuer Kleidung wieder da."
Ihre Augen zwinkerten Chat verschwörerisch zu, als sie die schwere Türe zum Hinausgehen öffnete. Sie verharrte kurz, wandte sich noch einmal um und flüsterte: "Ihr solltet aber wissen, daß es vollkommen in Ordnung ist, wenn Ihr Eurem Liebhaber gestattet, das Frühstück mit Euch einzunehmen. Zumindest nach so einer Nacht!"
Bevor Chat reagieren konnte, schlug die Türe mit einem dumpfen Laut ins Schloß. Verwirrt und unfähig zu einem klaren Gedanken schlurfte sie zu dem Tablett mit dem Frühstück und dem Wein. Gegen all ihre Prinzipien verstoßend füllte sie den Kelch, leerte ihn mit einem Zug und spürte die klebrige Süße an ihren Lippen. Langsam beschlich sie der üble Gedanke, daß dies wohl ein schlechter Anfang für ein würdevolles Auftreten in Arkans Palast darstellte. Sie hoffte auf die Verschwiegenheit der Dienerin. Wenn hier vieles anders war, wieso sollte es dann hier nicht auch tatsächlich verschwiegene Diener geben? Außerdem, wieso mußte sie jetzt um Verschwiegenheit beten? Es war doch gar nichts. Nichts, nichts, nichts.
Aber irgendwie wollten diese Gedanken sie nicht beruhigen. Vielleicht war dieses Volk ja netter als erwartet, aber schon an diesem ersten Morgen im Palast war Chat Bidu klar, daß es keinen Palast gab, in dem nicht Hunderte von Gerüchten gerne weitererzählt und ausgesponnen wurden. Und zum ersten Male in ihrem Leben würde sie, die immer darüber stand und dieses Gerede als lächerlich empfand, ein Thema sein. Momentan fand sie den Gedanken gar nicht lächerlich, - eigentlich fühlte sie sich sogar ein wenig krank!

 

ENDE

 

Schade
Chat Bidu
Britta Durchleuchter

 

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Stand:30.09.2010