Wein, Weib und Gesang ???

 

Seufzend verließ ich den Exerzierplatz und begab mich in meine Gemächer, um mich umzuziehen. Schließlich konnte ich mich schlecht in meinen verschwitzten Trainingskleidern um die Amtsgeschäfte kümmern. Viel zu schnell war dieser Augenblick wieder mal vergangen. Seit Arkan, mein Vater, mich auf den Thron der Thuach na Moch gesetzt hatte, konnte ich mir dieses Vergnügen viel zu selten leisten.
Vielleicht sollte ich mir die Zeit einfach nehmen. Andererseits - was ist Zeit hier im Hügelreich...
"Mein Prinz, welch ein Glück, euch gerade jetzt zu treffen. Ich habe hier noch einige Dokumente, die dringend eurer Aufmerksamkeit..."
Der Schreiber, der mich auf dem Weg in mein Arbeitszimmer aufhielt, trug nicht gerade dazu bei, meine Laune zu bessern. Wie so oft bei derartigen Gelegenheiten wünschte ich mir meinen alten Posten herbei. Widerwillig nahm ich ihm die Papiere aus den Fingern und überflog sie. Bereits beim zweiten Blatt überkam mich wieder der altvertraute Zorn. Ungläubig las ich noch einmal die Worte, die diese Reaktion ausgelöst hatten:
Formular 6357557 - Bekräftigung des Hügelprinzen bei Einsetzung durch den leiblichen Vater, bitte auch Anhang 12746345 / 4532 und ... /4711 beachten. Ausfüllen in dreifacher Ausfertigung...
Langsam, ganz langsam wandte ich mein Gesicht dem Schreiber zu, während ich aus dem Augenwinkel einen meiner Wächter dabei beobachtete, wie er, zum wiederholten Male, die körperliche Auflösung übte. Meine Männer kannten halt meine Stimmungen und wußten, wann sie ganz dringend woanders sein wollten, im Gegensatz zu diesem jungen Schreiber vor mir.
"Ich soll also diese Dokumente ausfüllen, ist das richtig?"
Eifriges Kopfnicken des Schreibers.
"Und deswegen störst du mich bei meinen Amtsgeschäften, richtig?"
Wieder ein Nicken, diesmal allerdings etwas unsicher.
"Laß uns das Problem doch mal nüchtern betrachten. Du bist ein Schreiber, richtig? Und ich bin der Prinz des Hügelvolks, richtig? Gut. Also, was tut ein Schreiber normalerweise so? Er schreibt, richtig? Und der Prinz tut was? Er prinzt, Blödsinn, will sagen, er regiert diesen Haufen hier, stimmt's? Also, wenn wir das hier mal als gegeben annehmen, dann solltest du jetzt diese Formulare nehmen und sie ausfüllen oder meinetwegen auch verbrennen, aber etwas plötzlich. Denn wenn mir noch ein einziges Mal so ein Wisch unter die Augen kommt, dann werde ich dir einmal einige Dinge über das Verhältnis zwischen Prinz und Schreiber erklären. Ich nehme doch mal an, daß du dir schon immer gewünscht hast, die Pferdeställe mit einem Löffel zu säubern, oder?"
Die letzten Worte hatte ich zu der Luft vor mir gesagt, da der Schreiber, nachdem sein Gesicht mehrere interessante Farbkombinationen durchlaufen hatte, blitzartig verschwunden war. Meiner Erfahrung nach hatte ich nun erstmal für einige Zeit Ruhe, bis sich wieder ein junger, unwissender Schreiber an die Arbeit machte, den unerledigten Papierkram aufzuarbeiten. Kopfschütteln ging ich weiter. Ich hasse Papierkram...
Als ich kurz darauf in das Arbeitszimmer kam, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Der Schreiber, den ich eben noch so abgekanzelt hatte, drückte sich panisch in die hinterste Ecke, als er mich eintreten sah. Grinsend ließ ich mich in einen der bequemen Sessel sinken, die Arkan damals hier aufstellen ließ und gab dem Diener ein Zeichen, daß er mir etwas zu trinken bringen solle. Erst nachdem ich einige tiefe Züge aus dem Krug getan hatte, blickte ich den schwer nervösen Schreiber an.
"Ich will doch mal hoffen, daß deine Anwesenheit nichts mit irgendwelchen Formularen zu tun, ist es nicht so?"
Zögerndes Nicken. Scheinbar hatte er bei meinem Anraunzer die Sprache verloren...
"Also, wenn es keine Formulare sind, was willst du dann von mir, in Mochs Namen?"
Langsam, als müßte er meinem Vater die Nachricht überbringen, daß der Alkohol zur Neige gegangen wäre, schlich er näher und schob mir einen Zettel hin. Lässig schob ich ihn wieder zurück und grinste ihn freundlich an, was schon wieder seltsame Zuckungen in seinem Gesicht hervorrief. Ich sollte meine Launen wirklich besser unter Kontrolle halten. Erstmal jedoch mußte ich mich an meine neue Aufgabe gewöhnen.
"Los, Schreiber, lies' es mir vor. Ich bin nicht in der richtigen Stimmung, um selbst zu lesen."
Leider konnte er meinen Auftrag im Augenblick nicht ausführen, da er beim Anblick meines Grinsens ohnmächtig geworden war. Ich sollte wirklich dringend an meinem Ruf arbeiten.
Nach einer Weile war der Schreiber wieder genug bei Bewußtsein, um mir das Schreiben vorzulesen. Es handelte sich dabei um eine Bitte um Hilfe von Illis, doch darum würde ich mich später kümmern. Mir schwebte sogar schon eine elegante Lösung vor. Vorrangig waren jedoch erstmal die Vorbereitungen für das bevorstehende Fest. Seit jeher war es Brauch, daß in einer Nacht des Jahres das Volk der Thuach na Moch die Oberwelt aufsucht, um dem Volk von Tir Thuatha mit einer Flut von Schabernack zu überziehen. Zu Anfang hatten die Oberweltler Schalen mit Milch vor die Türen gestellt, um die Späße abzuwenden, doch seit Arkan bekannter wurde, verschwanden die Milchschalen und wurden nach und nach mit Bierkrügen ersetzt. Das war das Los der Berühmtheit, doch bis jetzt hatte ich noch keinerlei Beschwerden von meinem Volk gehört. Aber auch dieses Jahr würde ich Tir Danannain wieder auslassen, die dortigen Getränke sorgten stets dafür, daß ein Großteil der Hügelvölkler lange über bohrende Kopfschmerzen klagten. Um mein Volk zu schützen, wurde ich mich ein weiteres Jahr heldenhaft aufopfern. Das wiederum war der Preis dafür, ein Prinz zu sein. Grinsend machte ich mich auf den Weg in meine Gemächer, um mich standesgemäß zu kleiden. Doch da begannen meine Probleme, ohne daß ich zu diesem Zeitpunkt davon etwas ahnte.

"So, du willst also an die Oberwelt. Zu den Danannain auch noch. Und natürlich geht es dir nicht um den Alkohol, der dort an diesem Abend bereitgestellt wird. Kannst du eigentlich auch noch an etwas anderes denken als ans Saufen? Und dich habe ich geheiratet. Man hatte mich vor dir und deinesgleichen gewarnt, aber ich wußte es ja besser. Immer werde ich zu Hause alleine gelassen, wenn du mit deinen feinen Freunden trinken gehst. Und dein Vater ist genauso. Liegt wahrscheinlich in der Familie. Eine Familie von Säufern. Hey, hörst du mir eigentlich zu, wenn ich mit dir rede..."
Da waren sie wieder, meine drei Probleme. Meine liebe Gattin hatte ein Problem mit altehrwürdigen Ritualen, hielt meinen Vater für einen Säufer und redete wie ein Wasserfall. Nun, was Arkan anging...
Aber egal. Nachdem nun meine bessere Hälfte von meinem "Opfer" erfahren hatte, war meine Planung für den Abend natürlich erledigt. Nach meiner Erfahrung würden die Vorwürfe noch ein Weilchen weitergehen, wobei ich natürlich hoffte, daß ich das Ganze noch endgültig in Arkans Richtung schieben konnte. Das jedoch war das kleinere Übel. Würde ich meinen ursprünglichen Plan ausführen, würde ich noch in einigen Wochen nur mit einem Leibwächter meine Privaträume betreten können. Also seufzte ich (extrem leise, damit niemand anderes es hören konnte), nickte in angemessenen Abständen und arbeitete mich langsam rückwärts zur Tür. Sobald ich sie erreicht hatte, riß ich sie ruckartig auf und genoß die doppelte Wirkung. Zuerst fiel mein treuer Wächter, durch die sich öffnende Tür, an die er sich beim Lauschen gelehnt hatte, aus dem Gleichgewicht gebracht, vor meine Füße und mein kleines Frauchen verlor durch diese Störung den Faden. Die plötzlich aufgetretene Stille ausnutzend, sah ich auf den etwas verlegenen Gardisten hinab und setzte wieder mein Grinsen auf. Befriedigt stellte ich sogar bei einem trainierten Kämpfer eine ausreichende Reaktion fest.
"Sieh mal an. Sieht ganz so aus, als hätte ich da einen Freiwilligen gefunden, der heute abend den zeremoniellen Wachdienst übernehmen möchte. Oder ist der Stalldienst mehr nach deinem Geschmack. Wenn ich dich noch länger hier herumlungern sehe, fällt mir auch noch etwas anderes ein..."
Gedankenverloren sah ich der Gestalt des Wachmanns hinterher, der es extrem eilig hatte, aus meinem Gesichtsfeld zu verschwinden. Ich mußte wirklich etwas gegen meinen schlechten Ruf tun.
Aber nicht gerade jetzt...

 

Wein, Weib und Gesang
Feach MacLlyr
Bernd Meyer

 

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Stand:30.09.2010