Die Suche nach dem Regenbogen

 

Das Finale (Teil 3)

 

Ein gellender Schrei, gefolgt von einem krampfartigen Keuchen hallte durch die Flure der Privatgemächer des Prinzenpaars.
Die sonst so ruhigen, verlassenen Räume waren nun erfüllt von regem Treiben. Die Zofen der Hügelprinzessin eilten geschäftig umher, mühten sich die Befehle der Hebamme und des Heilers rasch auszuführen.
Schon seit Stunden lag Sorcha in den Wehen. Kundige Hände kühlten ihre schweißnasse Stirn mit feuchten Tüchern. Lorendas, der alte Weise, saß an der Liegestatt der jungen Mocha und hielt ihre Hand. Er war schon Zeuge vieler Geburten gewesen, doch wie ein jedes Mal fühlte er mit der Gebärenden den Schmerz, die Agonie, aber auch die Vorfreude auf das neue Leben, welches sich seine Bahn in die Welt der Mocha brechen wollte.
Eigentlich hätte an seinem Platz Arpad, der Prinz des Hügelvolkes, sitzen müssen. Doch dieser war verbannt auf die gefahrvollen Weiten der Oberwelt.
Seit dem schrecklichen Tag, an dem Arpad aus freien Stücken das Reich Mochs verlassen hatte, gab es keine Kunde über den Verbleib des Prinzen. Selbst die Beobachter, welche Lorendas ausgesandt hatte, kamen ohne Botschaft zurück.
Doch der alte Mann tröstete sich damit, dass in diesem Falle keine Nachricht auch eine gute Nachricht bedeuten konnte.
"Lorendas?"
Offenbar hatte die leise Stimme seiner erschöpften Prinzessin zum wiederholten Male versucht, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, denn seine Hand wurde so fest, wie sie es nur vermochte, gedrückt.
"Eure Hoheit, verzeiht ich war in Gedanken."
"Ich weiß, Ihr weiltet bei meinem Gatten. Seid versichert, er lebt und sucht den Beweis seiner Unschuld. Er wird zurückkommen. Er lebt, ich fühle es... Lorendas, ich bin froh, dass ihr an meiner Seite seid. Ich....."
Eine neuerliche heftige Presswehe durchschüttelte ihren zierlichen Körper, bäumte ihn auf und ließ ihn wieder schwer in die Kissen zurückfallen.
Sofort war die Hebamme bei ihr, forderte sie auf ruhig zu atmen, sich auf das Pressen zu konzentrieren.
"Ich sehe das Köpfchen," rief sie plötzlich. "Ja, ich sehe den Kopf, - das Kind, es kommt!"
Lorendas befürchtete beinahe die schmale Gestalt Sorchas würde zerbrechen, als sie sich mit einer letzten gewaltigen Anstrengung aufbäumte. Ihr Oberkörper schnellte nach vorn, ein letzter befreiender Schrei entrang sich ihren Lippen und dann ertönte der lang ersehnte erste Laut eines neuen Lebens. Mit kräftigen Lungen schrie das Kind seine erste Herausforderung der Welt entgegen.
Gesäubert und in weißes Linnen gehüllt gab die Amme den Säugling seiner Mutter in die Arme.
"Gepriesen seien die Götter, meine Prinzessin. Es ist ein gesunder, kräftiger Knabe. Welchen Namen soll er tragen?"
Die Schmerzen schon völlig vergessen ob des Glückes, das nun ihr gesamtes Denken erfüllte, lächelte Sorcha in das kleine, rote Gesichtchen ihres Sohnes.
"Arkan..., sein Name ist Arkan...."

***

Cemrodh, der Bruder Arpads, hielt sich in diesem Augenblick in seinen Privatgemächern auf. Einen kostbaren Kelch aus reinstem Kristall, gefüllt mit mundigem Wein, in Händen, schien er auf etwas zu warten. Er starrte in den Kamin und die tanzenden Flammen spiegelten sich unheilschwanger in seinen eiskalten Augen.
Den Kelch an die Lippen hebend, verharrte er plötzlich in seiner Bewegung. Er bemerkte einen Schatten, der gleich einer Wildkatze in den Raum gehuscht war, und sprach leise, ohne den Blick vom Feuer zu nehmen: "Was hast du zu berichten?".
Der Eingetretene sank auf ein Knie.
"Der Thronfolger ist geboren, Herr. Er ist gesund und stark."
Ein nervöses, beinahe ungesehenes Zucken ging kurz über das ebenmäßige Antlitz Cemrodhs. Seine Hand umfasste den Stiel des Glases so fest, dass die Adern deutlich hervortraten.
"Gibt es Neuigkeiten über den Verbleib meines Bruders?"
"Nein, Herr, es ist beinahe so, als würde eine unbekannte Macht ihn unseren Augen entziehen."
Cemrodh atmete schwer, mühsam um seine Beherrschung ringend.
"Was ist mit Fachtna, dem Spitzzahnigen?"
"Seine Heimstatt ist geschliffen, verbrannt. Von ihm selbst fehlt jegliche Spur."
Ein leises Klirren zeugte davon, dass der schlanke Stiel des Kelches dem Druck von Cemrodhs Fingern nicht mehr länger Stand halten konnte. Ohne darüber nachzudenken, führte der Verräter seine blutende Hand an den Mund und saugte an der kleinen Wunde.
"Geh!" herrschte er den Kniehenden an. "Geh und sende alle meine Spione aus. Ich muss wissen, was geschieht."
"So sei es, mein Gebieter." Der Mocha erhob sich, senkte noch einmal den Kopf in Richtung Cemrodhs und verließ dann eilig, wie eine leichte Bö in einer unheimlichen Nacht, das Gemach.
"Und ich werde nun meiner lieben Schwägerin die Aufwartung machen. Sie beglückwünschen zu ihrem Sohn." Er spie in das Kaminfeuer. "Verflucht seist du, Arpad. Wer hilft Dir? Wo ist die Macht, die dich vor meinen Augen verbirgt?"

***

Tief unter den lichten Hallen des Palastes, beugte sich eine kleine, schöne Frau über einen Spiegel aus reinstem Wasser. Ihre uralten Hände strichen beinahe zärtlich durch die Nebel, welche sich über dem klaren Nass gebildet hatten. Aus wachen Augen, hinter denen verhalten der Irrsinn flackerte, sah sie den Weg Arpads und den seiner Gefährten.
"Ich habe getan für dich, mein hübscher Prinz, was ich konnte. Nun ist es an mir, die Frau und den Sohn zu beschützen."
Ein Kichern, gefärbt von Wahn, quoll über ihre Lippen.
"Ich werde auf dein Weib und deinen Spross wohl Acht geben."

***

Drei Gefährten hatten sich um ein kleines Feuer in der Wildnis gekauert. Haran, dem buckligen Hünen mit dem grotesk entstellten Gesicht, war es gelungen, am frühen Abend zwei Kaninchen zu erlegen, deren Fleisch nun über den Flammen langsam garte. Ein würziger Duft ging von den Braten aus.
Arpad, der verbannte Prinz der Tuach na Moch, schnitzte an einem hölzernen Kamm. Doch seine Gedanken waren nicht bei seiner Arbeit. Weit ließ er sie schweifen und ließ die vergangenen Monde noch einmal aufleben.
Die verzweifelte Suche nach dem Weg, das Ende des Regenbogens zu erreichen; das Aufsuchen all der mächtigen Magier, Druiden und Priester, die zwar alle gerne sein Gold nahmen, aber letztendlich doch keinen Rat wussten. Selbst dubiose Seher und offensichtliche Scharlatane hatten sie befragt, in der vagen Hoffnung vielleicht doch zufällig den richtigen Hinweis zu finden.
Selbst die mächtige Magie des Prinzen, die Zeit selbst zu formen, hatte es nicht vollbringen können, sie ihrem Ziel auch nur einen Schritt näher zu bringen.
Aber auch Schönes lag hinter ihnen. Denn so hart und grausam diese Welt mitunter sein konnte, so barg sie doch Wunderbares und Geheimnisvolles, an denen sich diejenigen, die auf Reisen waren, erfreuen konnten.
Jedoch der schönste Augenblick an den sich Arpad erinnerte, war der Moment, an dem die stumme, vom scheußlichen Fachtna geschändete Mocha, endlich begonnen hatte, Vertrauen zu ihm zu fassen.
Erst waren es nur flüchtige Berührungen, nach denen sie sich sofort wieder auf die Schulter Harans flüchtete, erschrocken ob des eigenen Mutes. Doch mit der Zeit überwand sie auch ihre letzte Angst.
Haran hatte sie Branwen genannt. Denn da Fachtna der Bedauernswerten die Zunge aus dem Munde gerissen hatte, und sie scheinbar des Schreibens nicht mächtig war, gab es auch keine Möglichkeit ihren wahren Namen zu erfahren. So hatte Haran ihr einen Namen gegeben. Sie schien zufrieden damit, denn wenn man sie `Branwen´ rief, da ging ein Strahlen über ihr Gesicht.
Der Hügelprinz betrachtete die Mocha nachdenklich. Sie hatte Grauenhaftes erlebt und ihr Geist hatte sich beinahe vollends zurückgezogen.
Ob sie jemals wieder zurückfinden würde? Wer vermochte es zu sagen?
Branwen sah auf, so als würde sie den Blick auf sich fühlen. Arpad schenkte ihr ein Lächeln, welches sie schüchtern erwiderte.
Sie verzehrten schweigend das einfache Mahl und löschten ihren Durst mit frischem Quellwasser.
"Freunde," Arpad ergriff das Wort. "Wir sollten uns zur Ruhe begeben und etwas schlafen. Der Morgen kommt früh genug."
Er rollte sich in seinen langen, schweren Umhang und bettete seinen Kopf auf den Rucksack, der all sein Reisegepäck beinhaltete.
Branwen kuschelte sich an die Seite des Hünen, der die erste Nachtwache übernahm.

***

Arpad beobachtete, wie die Sonne über den Hügelkamm stieg und ihr goldenes Licht verschwenderisch in die Landschaft ergoss. Auf einem Grashalm kauend erhob er sich und machte sich daran Branwen und Haran zu wecken.
Während die beiden sich im nahen Bach wuschen, schürte er das Feuer um etwas Tee zu bereiten.
Nach einem stärkenden Frühstück, löschten sie den Brand und begaben sich, wie schon an so vielen Tagen zuvor, auf den Weiterritt.
Gegen Mittag erreichten sie einen mittelgroßen Hof. Ein Hund schlug an und rief den Landwirt auf den Plan.
Eine Forke in der Hand, deren Spitzen in der Sonne scharf blitzten und bedrohlich aussahen, empfing der Mann die Ankömmlinge.
"Ich mag zwar nur ein einfacher Bauer sein, aber wehe Euch, solltet Ihr übles im Schilde führen. Ich weiß mich wohl zu wehren!" schien das Werkzeug zu sagen.
"Halt!!" rief er die Gefährten an. "Wer seid Ihr? Was ist Euer Begehr?"
Arpad zog den Hut und deutete eine Verbeugung vor dem Manne an.
"Vor Euch stehen Haran, der Riese, die wunderschöne, wenn auch stumme Branwen und meine Wenigkeit, Arpad. Wir entbieten Euch unseren Gruß."
Der Mann nickte und senkte die lange, scharfe Gabel.
"Man nennt mich Gwyn. Auch ich grüße Euch." Da zogen sich seine Augenbrauen zusammen. Er deutete auf die Hüften der beiden Männer. "Ihr tragt Schwerter wie hohe Herren. Außerdem nennt Ihr Pferde Euer Eigen. Seid Ihr hohe Herren?"
Misstrauisch trat er einen Schritt zurück.
Arpad, der schon des öfteren bei dem einfachen Volk Reaktionen solcherart bemerkt hatte, eilte sich den Mann schnell zu beruhigen,
"Seid versichert, wir sind keine hohen Herrschaften, die Euch knechten wollen. Bislang haben wir immer für unser Nachtlager bezahlt, und sei es auch nur mit Geschichten und Liedern. Und ich muss gestehen, wir haben auch nicht viel mehr anzubieten, guter Mann. Und die Schwerter, die Ihr seht… nun, Ihr wisst, dass diese Gegend mitunter eine sehr gefährliche sein kann. Wenn es Euch beruhigt, werden wir unsere Waffen an der Pforte stehen lassen, so Ihr es uns erlaubt einzutreten."
Der Bauer lachte schallend und schulterte seine Forke. "Wohl gesprochen, Herr Arpad. Tretet ein. Mein Bursche wird sich um eure Tiere kümmern."
Er winkte den Gefährten ihm zu folgen.
"Frau!" rief er in die Stube. "Mach einen kräftigen Eintopf. Heute Abend werden wir Gäste haben."

***

Wohlig gesättigt lehnten sich die Freunde zurück und strichen über ihre gefüllten Bäuche. Eine Katze war Branwen auf den Schoß gesprungen und ließ sich nun das Köpfchen kraulen.
"Seht," sagte Gwyn, der gerade mehrere Krüge mit schaumigem Bier füllte, "Eure Elfenfreundin mag augenscheinlich Katzen. Denn, dass Ihr beide, Ihr und Branwen, Elfen seid, habe ich gleich erkannt. Leugnet es nicht, werter Arpad. Ich habe es wohl gesehen. Den alten Gwyn kann man nicht so leicht hinter das Licht führen."
Arpad lachte: "Ihr habt uns erwischt, werter Freund." Aber insgeheim schwor er sich, den Mann niemals über seine wahre Herkunft aufzuklären, wusste er doch, dass viele der estron dem Hügelvolk mit größtem Misstrauen und Angst begegneten.
"Doch nun will ich bezahlen für die köstliche Mahlzeit. Ich werde Euch berichten von dem, was wir erlebt haben."
Die kleine Tochter des Bauern, Ceris mit Namen, reichte ihm einen süßen Kuchen und ließ sich dann vor Arpad nieder. Mit großen Kinderaugen erwartete sie die Fabeln, die der Gast versprochen hatte.
Und so erzählte der Prinz ihre eigene Geschichte. Von der Suche nach dem Regenbogen, den Abenteuern, die er und seine Freunde bereits erlebt hatten. Von fremden Reichen, seltsamer Magie und traumhaften Begebenheiten.
Seine Zuhörer hingen an seinen Lippen, denn Arpad hatte es schon immer vermocht, sein Publikum in den Bann zu ziehen. Ganz in seinem Element achtete er nur noch auf die Männer und Frauen im Raum, und vergaß ganz das Kind zu seinen Füßen, welches ihn immer mehr mit fragendem, beinahe forschendem Blick musterte. So verging der Abend und ein Großteil der Nacht, bis sich alle in weiche Daunen begaben.
Die Gefährten genossen eine ruhige Nacht in weichen, frischen Laken und schliefen so tief und erholsam, wie schon lange nicht mehr.

***

"Steh auf, Prinz!" Die leise Stimme hallte in Arpads Denken, wie es ein Kriegshorn nicht aufrüttelnder vermocht hätte.
Er schrak hoch und sah in das lächelnde Kindergesicht Ceris’.
"Wie hast du mich genannt, Kleines?"
"Kein Angst, Arpad," wisperte sie mit einem altklugen Minenspiel. "Dein Geheimnis ist bei mir gut gehütet. Doch sag: Bist du gekommen, um mich zu holen? Leugne es nicht, ich kenne die Geschichten um dein Volk. Meine Mutter hat mir alles über das Hügelvolk erzählt."
Arpad nahm das Kind bei den Händen und sah Ceris tief in die Augen. "Hab keine Sorge, mein Kind. Ich plane nicht, dich von hier wegzubringen."
Narrten die Sinne den Hügelprinzen oder malte sich Enttäuschung auf die Züge des Mädchens? Doch schnell war der Eindruck vergangen.
"Ich habe deiner Geschichte sehr gerne gelauscht," sagte sie. "aber ich glaube nicht, dass es ein Märchen ist, sondern dass du sie selbst erlebt hast. Du hast die Geschichte eurer eigenen Reise nur wie ein Märchen vorgetragen."
"Und wie bist du zu dieser Erkenntnis gekommen?" fragte er mit hochgezogener Augenbraue.
"Nur weil ich ein Kind bin, bin ich noch lange nicht dumm. Es haben hier schon einige Reisende ihr Essen und das Nachtlager mit einer Geschichte bezahlt. Aber nicht einer unter ihnen hatte Tränen in den Augen, wenn er erzählte. Und ich werde das schaffen, was die ganzen großen Zauberer und Priester nicht fertig gebracht haben."
Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust, so als wollte sie erwachsen wirken.
Der Hügelprinz lächelte und fragte: "Und das wäre?"
"Ich werde dir den Weg zum Ende des Regenbogens zeigen!"
"Verzeih meine Ungläubigkeit, Ceris, aber wie willst du etwas vollbringen, an dem all die weisen Männer und Frauen gescheitert sind?"
Ceris grinste schelmisch. "Warte es nur ab. Ich werde einen Korb mit Essen für uns vorbereiten, dann werde ich euch ein kleines Stück begleiten, wir werden speisen, und danach weise ich euch den Weg zum Ende des Regenbogens. Aber natürlich verlange ich auch etwas dafür..."
Arpad lachte leise. "Ich kann dir aber nichts geben. Schon lange sind meine Edelsteine aufgebraucht. Was also kann ich zu dem Handel bieten?"
"Ich wünsche die Unsterblichkeit von dir!"
Arpad starrte sie offenen Mundes an. "Du willst ...was?" fragte er ungläubig.
Sie lachte ein helles Kinderlachen. "Ich weiß auch, dass nur die Götter die Unsterblichkeit gewähren können. Und ein Gott bist du nicht." Und mit einem ernstem Gesichtsausdruck fuhr sie fort: "Aber du bist ein Geschichtenerzähler. Und die Kinder aus dem Hügel leben viel länger als wir Menschen. Und wenn du von mir erzählst, werden noch Leute von mir erfahren, wenn ich schon längst tot bin. Und dann bin ich unsterblich. Wirst du mir diesen Wunsch erfüllen?"
Der Mocha schüttelte staunend den Kopf. "Ceris, du bist mit Abstand das merkwürdigste Kind, dem ich jemals begegnet bin. Aber ich gehe auf das Geschäft ein. Wie willst du uns helfen?"
"Wecke deine Gefährten, wir brechen bald auf."

***

Sorcha hatte all ihre Zofen aus dem Zimmer gewiesen. Sie wollte allein sein. Allein mit ihrem kleinen Sohn. Auf dem Balkon, hoch über dem Palastgarten saß sie nun, genoss die milde Abendluft und erzählte dem Säugling von seinem Vater.
"Weißt du, kleiner Prinz, dein Vater ist ein stattlicher Mann. Er ist mutig und schlau. Er wird bald zurückkommen. Denn er muss dich doch in den Arm nehmen." Das Kind ergriff eine Strähne ihres langen Haares und steckte sie, wie alle Babys es tun, sofort in den Mund.
Sie drückte sanft ihr Gesicht an den kleinen Körper. "Er muss einfach bald zurückkommen…er muss einfach..."
Eine Bewegung hinter ihr, fast nur erahnt, ließ sie herumfahren.
"Wer ist da? Gebt Euch zu erkennen oder ich rufe die Wachen!"
Obwohl es windstill war, wehte eine unfühlbare Brise einen leichten Vorhang beiseite. Eine graziöse, weibliche Gestalt, deren kastanienbraunes Haar wie eine Flut ihr fein geschnittenes Gesicht umschmeichelte, trat ins Zwielicht. Sie war eine Mocha, gekleidet in Gewändern, wie sie vielleicht vor mehreren hundert Jahren getragen worden waren. Und Sorcha kannte sie nicht. Noch niemals zuvor war ihr diese Frau hier im Palast begegnet.
Die Prinzessin legte ihr Kind in den weichen Sessel und näherte sich langsam der Fremden.
"Wer seid Ihr?" fragte sie leise.
Die Angesprochene hob beide Arme vor ihren Körper und zeigte so, dass sie unbewaffnet war. Als Sorcha die Hände des unheimlichen Gastes sah, sog sie scharf die Luft durch die Zähne. Es waren die Finger einer Greisin. Pergamentene Haut spannte sich straff über spröde Fingerknochen. Doch das jugendliche Antlitz strafte diesem Anblick Lügen.
"Ich bin gekommen, dich zu warnen, Prinzessin!" flüsterte die Frau.
"Mich warnen?" Sorcha erkannte mit Entsetzen, dass die Frau nicht von fester Gestalt war. Deutlich sah sie den Spiegeltisch hinter der Erscheinung schimmern.
Die Prinzessin tastete nach einem schlanken Dolch, der auf einem Beistelltischchen lag.
Das keckernde Kichern der Erscheinung ließ sie inne halten.
"Willst du wirklich einen Geist mit der Klinge verletzen, mein süßes Kind? Skavenra ist nicht so leicht zu töten." Sie begann gleich einem kleinen Mädchen jauchzend im Kreis zu drehen. "Sieh nur, Prinzessin, wie sich mein Kleid aufbauscht. Sieht es nicht aus wie eine wunderschöne Glocke?"
Sorcha wich zurück und stellte sich schützend vor ihren Sohn. Sie fühlte, wie sich ein unbekannter Schrecken mit eiskalter Hand ihres Denkens bemächtigte.
"Ihr seid Skavenra? Aber wie ist dies nur möglich? Wer hat Euch aus Eurem Verlies befreit?"
Die Wahnsinnige hielt inne in ihrem wilden Rund. Ihre Haare legten sich vor das Gesicht wie ein Tuch aus feinster Seide.
"Skavenra braucht keine Schlüssel, liebste Sorcha. Und auch nur selten erlauben mir die Geister ihren Weg zu beschreiten. Doch wenn ich sie recht schön bitte und ihnen etwas vorsinge, dann lassen sie mich mit ihnen tanzen." Sie legte lauschend die Rechte an ihr Ohr. "Hörst du sie singen und lachen, kleine Sorcha? Hörst du ihre Stimmen? Ja, - sie erzählen auch von deinem Gatten. Sie wissen, wo er ist, sich aufhält, was er tut... Und wie er sich nach dir verzehrt."
Die Prinzessin keuchte auf. Sie konnte kaum glauben, dass sie nun auf Nachrichten einer offensichtlich Wahnsinnigen begierig war.
"Was, kleine Mutter, was sagen die Stimmen?" fragte sie gehetzt.
Skavenra lächelte und im nächsten Augenblick schauten ihre Augen klar und wach, bar jeglichen Irrsinns.
"Sorge dich nicht, kleine Sorcha. Arpad ist auf dem rechten Weg. Schon bald wird er wieder in den Hallen des Hügelreiches weilen. Ob zum Guten oder Schlechten, wird sich noch erweisen. Doch bin ich nicht gekommen, um dir von ihm zu berichten. Es geht..." Ein Lidschlag verging und die geisterhafte Erscheinung Skavenras verschwand, nur um hinter der Prinzessin wieder aufzutauchen und sich über das Kind zu beugen, ".... um den kleinen Thronfolger hier."
Sorcha schrie auf und stach instinktiv zu. Die Getroffene wirbelte herum, schlug die greisenhaften Hände vor das jugendliche Antlitz. Stöhnend brach Skavenra in die Knie. Rot rann das Blut zwischen ihren Fingern hervor.
"Mein Gesicht...." stöhnte sie. "Wie kannst du es wagen mich zu verletzen? Meine Schönheit zu besudeln?" Klirrend fiel der Dolch auf den polierten Steinboden.
Sorcha ging um den Sessel herum und neigte sich hinunter zu der Verwundeten. Doch als sie sie berühren wollte, da war es, als fasste sie in kühlen Nebel.
Skavenra sprang auf. Und da war keine Wunde zu sehen.
"Ich sehe, die Katze hat sogar einen scharfen Zahn, wenn es darum geht, ihren Welpen zu schützen," kicherte sie. "Und du wirst all deine Krallen und Zähne brauchen, um Unheil von ihm fernzuhalten?"
"Aber von wem droht ihm Gefahr? Nirgends ist es so sicher wie in diesen Mauern."
"Die größte Gefahr ist das Gefühl der Sicherheit hinter festem Mauerwerk. Wenn der Wurm bereits im Apfel heimisch ist, da kann die Haut noch so rot und saftig wirken, verdorben ist er schon lange."
"Was soll das bedeuten, kleine Mutter? Bitte sprecht nicht in Rätseln. Wer bedroht mein Kind?" Ihre Stimme bekam einen beinahe flehenden Unterton.
"Eile dich, Arpad, denn die Hand eines Bruders greift nach der Wiege," flüsterte die Wahnsinnige.
"Wollt Ihr etwa Cemrodh, meinen Schwager, verdächtigen? Wie könnt Ihr es nur wagen?"
Die Gerügte vollführte eine perfekte Pirouette und lachte heiser. "Was soll es schon für ein Wagnis sein, mit dem Finger auf den Wurm im Apfel zu zeigen? Oh, du heilige Unschuld. Eine Katze magst du sein, wenn es darum geht dein Fleisch und Blut zu beschützen, aber einfältig soll man dich schimpfen, wenn du nicht erkennst, wer dir Arges will, und wie nah er dir jeden Tag ist. Erinnere dich, wie oft er schon nach deinem Herzen gefasst hat." Mit diesen Worten begann Skavenra nach einer nur für sie hörbaren Melodie zu tanzen. Und mit einem letzten zierlichen Schritt zerfloss ihr Körper, gleich so, wie der Nebel in den Feuern der Morgendämmerung vergeht.
Schwer ließ sich die Hügelprinzessin auf die Brüstung des Balkons nieder, versagten doch beinahe ihre Beine den Dienst.

***

Auf einer kleinen Lichtung inmitten eines nahen Waldes, hatten sich die drei Gefährten niedergelassen. Ihre kleine Gastgeberin breitete eine farbenfrohe Decke auf dem Boden aus und begann allerlei Leckereien aus dem mitgeführten Korb zu fördern.
"Esst," forderte das Mädchen sie auf. Arpad nahm sich etwas kalten Braten und langte nach dem Becher frischen Quellwassers. Nachdem er den ersten Bissen heruntergespült hatte, richtete er sein Wort an Ceris.
"Du bist des öfteren an diesem Ort, nicht wahr?"
Ceris sah mit glänzenden Augen in das Rund der Lichtung und dann den mächtigen Stamm der uralten Eiche hinauf.
"Hierher komme ich immer, wenn ich allein sein möchte. Dem alten Eichenmann kann ich alles erzählen. Ich bin mir sicher, dass er alles versteht, was ich zu sagen habe."
Der Mocha legte sanft seine Hand auf ihre kleine Schulter. "Sei gewiss, Ceris. Er hört alles, was du ihm zu berichten hast. Ich fühle es ganz genau. Und wenn du nur genau zuhörst, dann wirst du auch seine Antworten vernehmen können..."
Für einen langen Moment blickten vier Augenpaare auf zu der mächtigen Krone, deren tiefgrüne Blätter sanft in der Morgenbrise raschelten.
"Doch nun, Arpad, zu unserem Handel. Bist du immer noch bereit deinen Teil zu erfüllen?"
Der Hügelprinz nickte. Und dieses Nicken war mehr wert als alle Beteuerungen dieser Welt.
"Dann werde ich nun meinen Preis entrichten."
Mit diesen Worten lief sie aufgeregt zum Pferd Arpads, löste einen Köcher für Schriftrollen und ein kleines Etui, in dem es geheimnisvoll klapperte.
Mit diesen Dingen kehrte sie schnellen Schrittes zurück zu den Wartenden.
"Was hast du da?" fragte der Prinz grinsend, "magische Schriftrollen und Hexenwerk? Solltest du in Wahrheit eine mächtige Zauberin in Gestalt der kleinen Ceris sein?"
Das Kind zog zornig die Augenbrauen zusammen. "Spotte nicht, Arpad. Natürlich bin ich keine Hexe. Aber ich habe etwas, das euch Erwachsenen wohl verloren gegangen ist."
Sie öffnete die hölzerne Röhre und entnahm ihr einen Bogen fast weißen Pergaments. Ein flacher Stein, auf dem sie das Pergament ausbreitete, bildete einen natürlichen Tisch. Sie entriegelte das Kästchen. Mit kundigem Griff wählte sie einige bunte Kreiden und begann mit raschen Strichen ihr Werk.
Vor den erstaunten Augen Arpads und seinen Freunden malte sie mit kindlicher Hand einen farbigen Regenbogen auf das weiße Papier und verstrich ihn noch sanft mit ihren Fingern. Endlich zufrieden hob sie das kleine Kunstwerk und hielt es den Gefährten zur Begutachtung hin.
Arpad blickte sie fragend an: "Was soll das? Ich verstehe nicht…"
Ceris schenkte dem Hügelvölkler ein herausforderndes Grinsen. "Das ist das schlimme an euch Erwachsenen. Kaum habt ihr aufgehört zu spielen, werdet ihr auch blind."
Ihre Stimme bekam nun etwas Belehrendes. "Sieh hin: Dies ist ein Regenbogen... hier," sie zeigte auf den oberen Rand des Bildes, "ist der Anfang des Bogens... während hier," sie deutete auf den unteren Teil, "dann natürlich das Ende ist."
Sie sah ihn zufrieden an.
"Deine Suche ist beendet, Arpad."
Arpad war es, als würde nun auch der letzte rettende Strohhalm vor seinen Augen in einen reißenden Strudel gerissen werden. Er wandte sich ab, wollte er doch nicht, dass das Kind die Tränen der Enttäuschung auf seinen Wangen sah.
Er wollte schon zu den Tieren gehen, um diesen Ort möglicht schnell zu verlassen, da bemerkte er das ungläubige Staunen auf den Gesichtern Harans und Branwens, und er wirbelte herum. Und was er da gewahr wurde, ließ ihn in Ehrfurcht erstarren.
Das Mädchen hatte ihre Zeichnung mit dem Ende des Regenbogens an den Stamm der Eiche gepresst. Die Natur selbst schien den Atem anzuhalten, als sich ein Geäst aus magischem Feuer um das Pergament bildete und sich rasch ausbreitete. Vor den Gefährten und dem Mädchen öffnete sich ein magisches Portal. In ihm waren grüne Auen, ein roter Fluss und die filigranen Türme einer Metropole zu sehen.
"Cor d´hai," flüsterte der Prinz der Tuach na Moch ergriffen, als er auf das Portal zuwankte. Er wandte sich an die kleine Ceris und ging vor ihr auf ein Knie.
"Ceris,...was niemand für möglich gehalten hat, dir ist es gelungen. Ich muss dir gestehen, ich habe es nicht für möglich gehalten, dass du die Lösung zum Brechen des Fluches hast. Du hast einem Mann, der geglaubt hat, schon alles gesehen zu haben, die Augen geöffnet, - ihm ein Geschenk gemacht, wie es wohl wertvoller nicht sein könnte. Ich danke dir. Ich werde dir einen Platz in der Ahnengalerie des Reiches der Mocha geben. Dort wird man sich deiner auf ewig erinnern."
Und das Kind strahlte!
Die Gefährten begaben sich zu den Pferden und nahmen ihre persönliche Habe und die Waffen an sich. Dann machten sie sich daran, das Tor ins Reich der Mocha zu durchschreiten.
"Arpad," rief Ceris, "Was ist mit euren Tieren?"
"Wir werden sie nicht mitnehmen können. Sie seien dein."
"Werde ich dich jemals wieder sehen?"
"Das wissen die Götter allein. Aber sei immer darauf gefasst, einem von uns zu begegnen."
Er hob die Hand zum Abschiedsgruß. "Maeth aistear, kleine Ceris. Das heißt in unserer Sprache `gute Reise´. Mein Dank ist dir auf ewig gewiss."
Mit diesen Worten schritt er durchs Tor.

Das Kind sah sinnierend auf die magischen Linien, die immer noch gleich einem Elmsfeuer über das alte Holz tanzten. Beinahe war es versucht, den beiden Mocha und Haran hinterher zu springen, doch dann atmete das Mädchen tief durch, winkte ein letztes Mal, noch nicht einmal wissend, ob die drei sie überhaupt noch sehen konnten. Dann griff sie die Zügel der zurückgelassenen Tiere und machte sich auf den Heimweg.
Einerseits war sie betrübt darüber, drei Freunde gewonnen zu haben, nur um sie gleich wieder zu verlieren. Andererseits jedoch war sie auch froh und glücklich, dass sie so gut zu helfen vermocht hatte und nun zwei stattliche Pferde ihr eigen nennen konnte.

***

Cor d´hai, die Metropole, lag im tiefen Schlummer.
Ein voller Mond beschien den Einzug des Prinzen, Branwens und ihres menschlichen Freundes Haran. Tief sog Arpad die kühle Nachtluft ein.
"Schmeckst du es, Haran?" jauchzte der Prinz, "riechst du die Luft?"
"Das einzige, was ich schmecke, ist ein ziemlich übler Geruch," grummelte der Hüne.
Arpad sah ihn verblüfft an, dann verzog sich sein Gesicht zu einem schelmischen Grinsen. Er sah in die Höhe.
"Es stimmt, der Wind weht aus der Gerbergasse herüber. Es ist wahrlich nicht gerade Rosenduft, was uns da so entgegen kommt."
Aber schnell war das fröhliche Lächeln einem grimmigen Ausdruck gewichen.
"Aber komm, mein großer Freund. Ich habe noch eine Aufgabe zu erfüllen. Und ich bin froh, dich dabei an meiner Seite zu haben."
Branwen stieß einen leisen Laut der Furcht aus, als sie den aufkeimenden Zorn des Prinzen bemerkte und flüchtete auf die Schulter des Hünen.

***

Unruhig wanderte Cemrodh in seinem Gemach auf und ab. Wie ein gefährliches Raubtier in einem viel zu engen Käfig drehte er unsinnige Runden. Nur unterbrochen, um ab und zu seinen Kelch mit Branntwein zu füllen und Verwünschungen in Richtung eines Porträts Arpads zu schleudern.
Da ließ ihn eine flüchtige Bewegung innehalten. Der Schatten einer Frau zeichnete sich hinter einem der schweren Vorhänge ab.
Irritiert ging Cemrodh auf ihn zu. Mit einem Ruck riss er den Stoff zur Seite.
"Wer seid...Ihr...?" beendete er den Satz leise, denn es befand sich niemand an dem Ort.
"Oh, mein süßer Kleiner, habe ich dich etwa erschreckt?"
Er fuhr herum.
Da am Kamin, in seinem Sessel, lümmelte sich eine kleine, junge Frau. Flackernde Augen musterten ihn durch einen seidigen Schleier kastanienbraunen Haares.
"Wer bist du? Was hast du hier zu suchen, und wie bist du hereingekommen?"
Die Gestalt schürzte die Lippen.
"Hat Euch der Schreck die Höflichkeit vergessen lassen?" sagte sie vorwurfsvoll.
"Ich wähle mir die, welche meiner Höflichkeit wert sind, selber aus. Nun, beantworte meine Frage, bevor ich die Wachen kommen lasse, die dich aus dem Palast treten werden!"
Die Fremde drohte ihm mit dem Finger, so wie man ein Kind maßregeln würde, das gerade im Begriff ist eine Torheit zu begehen.
"Kleiner Möchtegern," sagte sie leise, als sie sich geschmeidig erhob. "Du strebst nach Dingen, die für dich auf ewig unerreichbar sein werden."
"Was weißt du?" stieß der Verräter hervor und tat einige Schritte auf sie zu. Wölfisch grinsend eröffnete sie einen Tanz, immer darauf bedacht mindestens zwei Klafter Raum zwischen sich und Cemrodh zu lassen.
"Die Frau, die du begehrst, sie wird niemals die deine sein. Die Macht, nach der es dich verlangt, - eher wird ein Säugling auf dem kristallenen Thron Platz nehmen, als dass dein Hintern den Sitz beschmutzt."
Sie lachte keckernd und drehte sich, dass ihr Rock nur so flog.
Der Mocha sprang auf sie zu, die Hände wie die Krallen eines Geiers gespreizt suchte er sie zu greifen. Das Antlitz Cemrodhs verzerrte sich zu einer zornigen Grimasse. Die Zähne gefletscht schleuderte er seinen schlanken Körper auf die Frau zu.
Er erwartete den schweren Schlag des Anpralls.
Zu seiner grenzenlosen Verblüffung unternahm sie nichts um ihm auszuweichen. Die Wahnsinnige schien ihn sogar zu erwarten. Sie hatte die Arme ausgebreitet, als wolle eine Mutter ihr Kind umschließen.
Die Zeit schien zäh wie Sirup zu werden. Im Sprung sah er mit Grauen, wie die ärmel ihres Gewandes nach hinten glitten und den Blick auf die uralten Hände einer Greisin freigaben.
Und dann fiel er einfach durch sie hindurch, so wie man durch eine Nebelwand tritt. Schwer stürzte er auf einen eichenen Tisch, riss im Fallen noch einen Stuhl um und prallte hart auf den Boden.
Sich die schmerzende Schulter haltend richtete er sich halb auf und erstarrte. Eine nie gefühlte Furcht griff mit eisigen Klauen nach seinem Herzen. Die Gestalt schwebte nun etwa einen Klafter über ihm. Milchige Augen starrten ihn an, das kastanienbraune Haar schwamm in der Luft wie in einem glasklaren Teich, das vormals wunderschöne, puppenhafte Gesicht war nun zu der furchtbaren Fratze einer Mumie geworden.
Mit einem knochigen Finger auf ihn deutend, kicherte die Erscheinung heiser.
"Armes Söhnchen. Deine Tage sind lange gezählt. Der Prinz kommt schon mit großen Schritten. Er hat dein Verderben im Gefolge. Es wird Zeit, dass du bezahlst, Cemrodh!"
Entsetzt sah er, wie das vertrocknete Antlitz der Erscheinung zerfloss und die Gesichter der Frauen formte, die er dem schrecklichen Fachtna überantwortet hatte.
"Du wirst bezahlen, Cemrodh! Und man wird sich deiner nicht mehr erinnern. Höchstens in finsteren Träumen."
Ein letztes irres Kichern, dann verging die Gestalt wie der Nebel, der in den Feuern der Morgendämmerung stirbt.

Schwer keuchend erhob sich der Mocha. Er wusste nun, was zu tun war. Mit fahrigen Fingern gürtete er sein Schwert, wählte einen glänzenden, scharfen Dolch und verließ schnellen Schrittes den Raum. In dieser Nacht noch sollte es geschehen. Heute würde edles Blut vergossen werden. Vergossen zu seinem Heil!
Gebeugt, als würde eine schwere Last auf seinen Schultern lasten, schlich Cemrodh durch die verwaisten, nächtlichen Flure des Kristallpalastes. Den blitzenden Dolch in seiner Rechten, strebte er den Privatgemächern der Prinzessin entgegen.
Schwere Schritte auf blankem Marmor ließen ihn zusammenfahren. Eine Wache machte ihren Rundgang. So, als hätte der Prinzenbruder nie etwas anderes getan, verschmolz er mit dem Schatten einer mächtigen Säule. Die Waffe fest vor die Brust gepresst, hielt der Verräter den Atem an, als sich die Wache seinem Versteck näherte. Er war bereit ihn zu töten, sollte der Mann ihn entdecken.
Doch dieser ging an ihm vorüber, ohne auch nur das Geringste zu bemerken.
"Auch dafür allein hat dein Balg den Tod tausendfach verdient," zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Sieh mich an, geliebter Bruder," murmelte er, während er weiter durch die Nacht glitt, "verbergen muss ich mich in meinem eigenen Haus. Aber wenn deine Brut erst einmal nicht mehr ist, dann wird Sorcha sich mir zuwenden. Und du wirst vergessen sein!" Ein leises Kichern entrang sich seinen dünnen Lippen. "So ist es doch auch bei den Raubtieren, welche die Herrscher der Tiere sind. So wie ich Herrscher und König sein werde..."

***

Sorcha hatte den schlafenden Säugling in seine Wiege gebettet. Dann begab sie sich auf den großen Balkon. Ihre zierlichen Hände umfassten das Geländer aus poliertem Ebenholz, als sie ihren Blick durch die Nacht schweifen ließ. Tief unter ihr flossen ruhig und stetig die tiefen Wasser des Sereg Ran. Sie umschmeichelten den Palastgarten, dessen Wege von kleinen magischen Laternen sanft beleuchtet wurden.
Doch sie hatte keinen Blick für die Schönheit dieser Nacht.
Die Worte ihrer unheimlichen Besucherin gingen Sorcha nicht mehr aus dem Kopf. Sollte denn wirklich Gefahr von ihrem Schwager ausgehen? Sie konnte es einfach nicht glauben. Aber doch, je länger sie sich die letzten Monate ins Gedächtnis rief, umso mehr war sie versucht, den Worten Skavenras Glauben zu schenken. Eine Bemerkung, die er gemacht hatte, die Umarmungen, die er ihr geschenkt hatte, um sie zu trösten, so wie er behauptete, - waren sie nur geplant gewesen, um sie zu täuschen? Auch als er kam, um nach der jungen Mutter zu sehen und dem Thronfolger seine Aufwartung zu machen... Hatten da nicht in seinen Augen Tränen der Freude über ihr Glück geschimmert? Oder waren es die der Wut und der Enttäuschung gewesen? Die junge Frau strich sich über die Stirn. Gleich Morgen in aller Frühe würde sie sich mit Lorendas beraten, sagte sie sich. Ja, gleich morgen….
Da tat es einen schweren Schlag vor ihrer Tür. Sie wirbelte herum. Die Pforte sprang auf und eine dunkel gewandete Gestalt stürzte herein. Ein gezackter Dolch, den der Eindringling hoch über seinem Kopf erhoben hatte, blitzte fahl und kalt im Mondlicht auf. Die Prinzessin hatte schon den Mund geöffnet, um nach der Wache zu rufen, da erkannte sie mit Entsetzen das Ziel des Angreifers. Er hastete auf die Wiege zu. Mit Macht brach der Instinkt einer Mutter in der kleinen Frau durch. Ohne Waffe, nur mit ihren bloßen Händen ging sie den Angreifer an.
"Weg von meinem Kind," schrie sie, und ihre sonst so melodische Stimme überschlug sich panisch.
Die bloße Wucht ihres Körpers riss den Mann zu Boden. Dabei rutschte die dunkle Kapuze seines Umhangs, und Sorcha schrie auf, als sie in dem Attentäter den eigenen Schwager erkannte.
"Cemrodh! Warum?"
Der Verräter nutzte ihren Schreck. Seine starken Arme umschlossen ihre zierlichen Schultern und hielten sie am Boden. Er führte seine Lippen an ihr Ohr und heiser begann er zu sprechen:
"Du bist verhext worden, geliebte Sorcha. Mein Bruder hat finstere Magie gewirkt, schon immer, und so hat er dich gewonnen und den Thron. Ich sollte auf dem Kristallthron sitzen und nicht er."
Die Prinzessin wand sich unter ihm, versuchte sich zu befreien. Sein nach Branntwein stinkender Atem bereitete ihr übelkeit. Sie musste würgen.
"Ja, geliebte Sorcha. Es ist furchtbar, was er getan hat. Doch der Gipfel seiner üblen Tat war, dass er dich schwängerte, bevor er in die Verbannung geschickt wurde. Und dieser Balg da ist von übler Zauberei nur so erfüllt. Er lässt dich Arpad noch immer lieben. Doch ich weiß, was zu tun ist."
Schwer hieb er der sich Windenden mit dem Knauf seiner Waffe an die Schläfe. Sorcha erbebte, dann sank sie in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
Cemrodh stand auf und stellte sich vor das Kinderbettchen. Er hob die Klinge. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem boshaften Lächeln.
"Nun ist es soweit. Nun werde ich den Platz einnehmen, der mir zusteht."
Plötzlich flog die Tür zum Gemach auf.
Die Augen in ungläubigem Erstaunen aufgerissen erkannte er in den Hereinstürmenden seinen eigenen Bruder, einen Riesen und ein Mädchen, welches niemals wieder in das Reich Mochs hätte zurückkehren dürfen. In nur wenigen Herzschlägen wurde ihm klar, dass er verloren hatte.
"Lass ab von dem Kind!!" donnerte Arpad. "Wirf den Dolch zu Boden und ich verspreche dir, dass du leben wirst."
"Leben?" fauchte Cemrodh. "Nein, den letzten Trumpf habe ich noch nicht ausgespielt."
Mit der Geschwindigkeit einer zupackenden Natter griff er in die Wiege und riss den Säugling an sich. Den Dolch an der Kehle des kleinen Prinzen haltend wich er zurück.
"Du wirst mich gehen lassen, Bruder, oder der Spross deiner Lenden wird nicht einmal die Chance haben, seinen Namen kennen zu lernen."
Arpad erhob die Hände.
Cemrodh bedeutete den Gefährten mit der Spitze des Dolches den Zugang zur Türe freizumachen. Widerwillig gehorchten sie.
"Haran," sagte Arpad leise, "bleibe hier bei Sorcha. Lorendas wird gleich da sein und sich um euch kümmern. Ich muss Cemrodh aufhalten!"
Er eilte hinaus ohne zu bemerken, dass ihm eine kleine Gestalt hinterher huschte.

Den Degen gezogen folgte er seinem Bruder. Heiß wallte der Zorn in seinem Denken. So hatte er nur selten gefühlt. Er wollte Genugtuung, seine Hände um den Hals seines Blutsverwandten legen, um das Leben aus ihm heraus zu pressen.
Der Verräter erreichte keuchend seine Räume. Nur die Flucht beschäftigte sein Denken, - die Flucht in seine Zitadelle am Moch Cadair. Ja, dort würde er seine Kräfte sammeln, Bündnisse mit menschlichen Magiern schließen. Und dann mit Flamme und Schwert seinen Platz auf dem Kristallthron endgültig erstreiten.
Er warf den Säugling achtlos auf ein weiches Kissen. Noch durfte er keinen Schaden nehmen, noch war er eine zu wichtige Geisel.
Dann riss Cemrodh einen herrlichen Gobelin von der Wand, der mit einem dumpfen Geräusch zu Boden ging. Ein kompliziertes Muster aus Runen und mystischen Symbolen voller Kraft waren auf dem alten Gemäuer hinter dem schweren Teppich verborgen.
"Bei der Macht, die ich errungen," begann Cemrodh einen mächtigen Zauber zu weben, "bei den alten Namen der Reisenden, bei den sechs Richtungen der Himmel und den finsteren Helfern, die mir zu Diensten sind, ich beschwöre Euch."
Die Zeichen begannen in einem unheimlichen Rot zu glühen. Des Prinzenbruders Stimme war scharf und schneidend.
Worte einer uralten Sprache, die mehr den Lauten von Tieren ähnlich waren als dem eines denkenden Geistes, quollen wie zäher Schleim über seine Zunge und die Runen glosten auf, als würde ein Schmied die Glut in seiner Esse schüren.
"öffnet, ich befehle es!"
Die magische Schrift begann sich zu bewegen, verband sich zu einem wohl sieben Fuß messenden Oval.
Weiß strahlten sie nun, durchzogen von Schlieren in der Farbe geronnenen Blutes, welches in einer alten Wunde steckt. In dem Rund aus fremder Magie kam ein schwarzer Saal zum Vorschein.
Der Mocha ergriff das Kind und trat durch das Tor. In diesem Moment stürzte Arpad in den Raum, erfasste die Geschehnisse in nur dem Bruchteil eines Lidschlages, und sprang dem verhassten Bruder ohne zu zögern durch das Portal nach.
Der von Zauberei geschaffene Durchgang erzitterte. Doch bevor er zusammenbrach, schlüpfte eine weitere Person hindurch, folgte den verfeindeten Brüdern.

***

Als Haran, Sorcha und Lorendas in Begleitung der Palastwachen Cemrodhs Gemach erreichten, da war eine Spannung im Raum, so als hätte hier eben noch ein heftiges Gewitter gewütet.
Voller Sorge sahen sie sich um, konnten jedoch nichts Auffälliges entdecken.
"Ihr Herren," tönte plötzlich die Stimme einer der Wachen, "kommt und seht, was ich entdeckt habe."
Voll böser Ahnungen folgten sie dem Ruf.
Sie fanden den Mann, der fassungslos auf eine Wand starrte. Eine Mauer, die nun aus poliertem, schwarzem Glas bestand, über das noch vereinzelt magische Funken sprühten.
"Seht nur," flüsterte er. Und was den Gefährten gewahr wurde, ließ sie schaudern.
Denn in dem Glas waren die Gestalten Arpads, Cemrodhs und Branwens zu erkennen, die einander verfolgten.
Ein Aufschrei bäumte den mächtigen Körper Harans auf. Er stürzte vor dem Bild auf die Knie.
"Branwen!" brüllte er, "Freund Arpad, warum habt ihr mich zurückgelassen?" Wieder und wieder hieben seine großen Fäuste auf die glatte Oberfläche. "Warum im Namen aller Götter?"
Dann brach er vor dem Bild seiner Freunde zusammen und begann zu schluchzen und zu weinen.

Arpad fiel geradezu aus dem Tor von uralter Magie in den dunklen Saal, der ihm unbekannt war. Instinktiv warf er sich zu Boden und rollte sich gewandt über seine rechte Schulter. Dies rettete ihm das Leben, denn ein Armbrustbolzen sauste über ihn hinweg und schlug hart neben ihm in einen mächtigen aus schwarzem Holz geschlagenen Balken.
"Verflucht seist du, Arpad!" schnappte Cemrodh. Er warf die nutzlos gewordene Waffe zu Boden und zog sein Schwert. Arpad sprang auf.
Wo eben noch Wut vorherrschte, war nun berechnende Kühle an ihren Platz getreten. Die gezogene Klinge seines Degens zum Zustoßen bereit, taxierte der Hügelprinz seinen Gegner, achtete auf die kleinste Regung seines Kontrahenten. Auch dieser richtete sein Schwert auf sein Gegenüber.
Sie begannen sich langsam zu umkreisen und eröffneten einen tödlichen Tanz.
"Du kannst nicht gewinnen," knurrte der Verräter. "Ich werde deinen Prinzenwanst aufschlitzen und mich an deinem Todeskampf weiden."
Doch das nervöse Zucken seiner Augen strafte dieser protzenden Rede Lügen.
Arpad sagte nichts. Ganz ruhig achtete er auf die noch so kleinste Bewegung. Nur ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. Irritiert wich sein Bruder einen Schritt zurück. Diese Blöße nutzend stieß Arpad zu. Doch auch Cemrodh war nicht ohne Geschick. Hell blitzte sein Stahl, als er die schlanke Waffe an der seinen ins Leere gleiten ließ.
Nun ging er Arpad an. Wild ließ der Zweitgeborene seine Angriffe auf ihn hernieder prasseln. Und mehr als einmal drohte der Degen des Hügelprinzen unter den Hieben zu zerbrechen.
Arpad sah sich gezwungen zurückzuweichen. Nur die Schläge parierend wurde er schnell an die Wand getrieben. Den letzten Hieb des Bruders empfing er schon mit dem Rücken an den kalten Stein gepresst.
Er hatte keine andere Wahl. Den Degen fest in der Hand, empfing er mit seinem dünnen, biegsamen Metall die letzte wuchtige Attacke, hoffend, dass es nicht zerbersten möge.
Das Schwert Cemrodhs traf hart. Schmerzhaft spürte Arpad die Gewalt dieses Schlages in seinem Handgelenk. Tränen schossen ihm in die Augen, sein Geist drängte ihn, den harten Griff um seine Waffe fahren zu lassen. Doch er, wie auch seine treue Waffe, hielten stand. Das Schwert des Gegners rutschte an ihr hinab und wurde am Korb aufgehalten.
Schwer atmend sahen sich beide Männer gebunden. Sehnig traten ihre Muskeln hervor, als beide Kämpen versuchten sich niederzuringen.
"Du... kannst... nicht... gewinnen," stieß Arpad hervor. Da erkannte der Prinz seine Chance. Er verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein und sein linkes Knie schnellte nach oben. Empfindlich traf er den ungeschützten Schritt seines Gegners, der sofort winselnd von ihm abließ und mit schmerzverzerrtem Gesicht nach hinten taumelte, die Klinge aber immer noch zur Abwehr erhoben.
Arpad tat einen gewaltigen Satz, der ihn von der behindernden Wand zur Mitte des Saales katapultierte. Erneut schätzten sich die Brüder ab.
"Wie kannst du es wagen?" keuchte Cemrodh und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirne. "Ist das die Art zu kämpfen, die dich dein vergreister Meister gelehrt hat?"
"Er hat mich gelehrt zu überleben. Und nur das alleine zählt!" versetzte der Gerügte.
Sich umschleichend wie zwei Raubkatzen nutzten beide die kurze Kampfpause um Atem zu schöpfen. Dann, als hätte es einen unhörbaren Befehl gegeben, flirrten die Klingen erneut aufeinander zu. Funken stoben, als Metall auf Metall prallte. Hell sangen sie ihr Lied, und die Mocha führten ihre tödliche Kür weiter fort.
Eine Gestalt, welche Arpad mehr erahnte als sah, nahm kurz seine Aufmerksamkeit in Beschlag.
"Branwen!" rief er aus, als er die verstümmelte Hügelfrau in seinem Rücken bemerkte.
Stahl sirrte durch die Luft und eine rote Spur malte sich auf die Wange des Hügelprinzen. Kraftvoll sprang er in die Höhe, so dass der Folgehieb ihn verfehlte.
Branwen drückte sich angstvoll in eine Ecke. Nun griff Arpad seinerseits seinen Bruder mit vehementer Gewalt an. Schlag auf Schlag, Stich auf Stich ging auf den verhassten Feind nieder, der sich nur mit Mühe des tanzenden Degens erwehren konnte.
Nun war es die Reihe an Cemrodh durch den Raum getrieben zu werden. Hier zeigte sich zu deutlich der unschätzbare Vorteil der leichteren Klinge Arpads. Die Angriffe auf die Verteidigung Cemrodhs glichen einem Hagelsturm. Nur unter Aufbietung seines sämtlichen Könnens konnte er schwere Verletzungen verhindern. Schon blutete er aus mehren Wunden, die ihm die schlanke Spitze beigebracht hatte.
Und dann hatte der Prinz seinen Bruder auf einen großen Balkon gedrängt. Die Hiebe des Degens kamen nun nicht mehr ganz so schnell. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut. Cemrodh wand sich aus der Verteidigung.
Er brüllte auf, als er sein Schwert zu einem vernichtenden Schlag erhob. Arpad brachte seine Waffe schützend vor seinen Körper.
Als die scharfe Schneide des Schwertes auf die dünne Klinge traf, hallte der hässliche Ton brechenden Metalls klagend durch die Halle. Der Degen zerbrach knapp oberhalb des schützenden Handkorbes. In weitem Bogen flirrte die zerstörte Klinge über die Brüstung des Balkons und verschwand in der Tiefe des Moch Cadairs.
Siedendheiß überkam Arpad die Gewissheit der Niederlage.
"Es ist vorbei," hämmerte es in ihm.
Cemrodh hob das Schwert zum Todesstoß.
Da gellte ein spitzer Schrei.
Beide Köpfe fuhren kurz in die Richtung des Rufes.
Und auf beiden Gesichtern malte sich Erkennen und Entsetzen.
Branwen hatte sich, so kraftvoll sie es nur vermochte, von der Wand abgestoßen. Und nun schrie sie, sich für den tödlichen Angriff Mut machend, die Angst aus ihrem Geiste.
"Branwen!! Nicht!!" brüllte Arpad und versuchte verzweifelt, die zierliche Gestalt von ihrem schrecklichen Plan abzuhalten. Doch wie der Flügelschlag eines Schmetterlings berührte nur die dunkle Flut ihrer Haare seine ins Leere greifende Hand. Er konnte sie nicht mehr erreichen.
Der dumpfe Aufprall zweier Körper, das entsetzte Aufkreischen Cemrodhs mischte sich mit dem Schrei einer gepeinigten Seele.
Arpad stand starr vor Schrecken. Nur kurz wankte sein Bruder, versuchte noch verzweifelt die Balance zu erlangen, dann stürzten beide über das Geländer in die gähnende Tiefe.
Das letzte, was Arpad sah, war etwas, das er in seinem gesamten Leben nicht mehr vergessen sollte.
Es war das Lächeln Branwens....

***

"Und dein Plan steht fest, Haran, mein Freund?"
Arpad und der menschliche Hüne hatten sich in einen ruhigen Teil des Palastgartens zurückgezogen. Diesen hatte Haran in den letzten Wochen oft aufgesucht, wenn er mit seinen Gedanken alleine sein wollte.
"Ja, Arpad, Prinz."
Dieser verzog etwas das Gesicht, mochte er es doch nicht, wenn sein großer Kamerad ihn mit seinem Titel ansprach, doch verzichtete er diesmal darauf, ihn zu verbessern.
Haran seufzte schwer. Zu deutlich war ihm noch vor Augen, wie Arpad mit dem zerschmetterten Körper Branwens auf dem Arm in den Kristallpalast zurückgekehrt war und unter Tränen von ihrem großen Opfer berichtet hatte.
Nur mit Mühe hatten Arpad und seine Frau ihn damals beruhigen können.
Dann die Beweise für die Unschuld Arpads. Die Dinge, die Schriftstücke, welche die Verbindung Fachtnas mit Cemrodh bestätigten. Sie waren eigentlich nur noch eine Farce gewesen. Zu deutlich war allen die schwere Schuld des Zweitgeborenen vor Augen geführt worden.
Gewiss, sie hatten gesiegt, - doch zu welchem Preis?
Branwen, die kleine Branwen, Harans erklärter Liebling war nicht mehr. Und so hielt den Hünen nichts mehr im Reich der Mocha.
"Ja, Freund Arpad. Haran wird gehen. Arpad hat Frau und Sohn. Da ist nur noch wenig Platz für einen hässlichen Mann."
Arpad protestierte und der große Mensch lächelte ihn mit seinem grotesk entstellten Gesicht an.
"Deine Liebe ist gut, Freund Prinz. Aber es ist nicht Harans Heim hier. Lass mich gehen. Hier werden sie mich noch lange lieb haben, aber was geschieht in den Jahren? Sie werden kommen, um den Riesen zu sehen, nicht um Haran zu besuchen."
Arpad öffnete den Mund zum Widerspruch, schloss ihn aber wieder, denn er wusste, der einfache Mann hatte die Wahrheit auf den Punkt gebracht.
"Wann?" fragte er nur.
"Samhain ist gut," antwortete der Hühne. "dann hat Haran noch Zeit Lebewohl zu sagen."
"So soll es geschehen, Freund. Doch wirst du nicht ungerüstet gehen. Geschenke sollst du erhalten."
"Haran will nichts!"
Arpad lachte, obwohl ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er umarmte seinen großen Freund. "Aber ich will es so."
Und Samhain kam. Selbst im Reiche Mochs war die Zeit nicht aufzuhalten./

***

Irgendwo in Tir Thuatha. reckte sich ein mächtiger Steinkreis in den nächtlichen Himmel. Es war die Nacht des Samhain. Nur wenige Menschen hatten den Mut vor die Türen ihrer Häuser zu treten. Wussten sie doch, dass es in dieser Nacht nicht mit rechten Dingen zuging, - dass es die Zeit war, in der die Toten wandelten.
Nur einige Druiden hatten sich an dem großen Rund von Steinen zusammengefunden, um ihren Ritualen nachzugehen. Sie sangen, malten Zeichen druidischen Zaubers auf die Menhire, verbrannten kostbare Kräuter und deren wohlriechender Rauch stieg auf in den nächtlichen Himmel.
Plötzlich verstummte die Natur. Der Wind hielt den Atem an. Kein Ton war zuhören.
Nur in der Ferne waren plötzlich Jubel, Hochrufe und Musik zu hören.
Irritiert sahen sich die weisen Männer an. So etwas war zuvor noch niemals geschehen.
Da gab es einen Donnerschlag!
In der Mitte der Monolithen erschien blendend weißes, reines Licht. Rasch breitete es sich aus, flutete bis zu dem äußeren Ring.
Es verebbte und vor den staunenden Augen der Druiden zeigte sich eine Stadt. Eine Stadt mit filigranen, hohen Türmen, welche verbunden waren von schlanken Brücken.
Der Jubel kam aus dieser Metropole. Er brandete nun laut auf, als eine berittene, große Gestalt durch das Tor preschte und nur Augenblicke später aus dem Licht in den Ring sprang.
Die Druiden wagten kaum zu atmen angesichts dessen sie Zeuge wurden.
Der Hüne zügelte sein Ross und wandte sich dem Licht zu.
Er hob die Hand zum Gruß und unter seinem Helm donnerte seine dunkle Stimme:
"Haran dankt, Freund Arpad, Prinz der Tuach na Moch. Und er dankt auch für die Erinnerung!"
Erneut brandete Jubel auf. Das Strahlen verglomm, und die Stadt verschwand vor den Augen der Menschen.
Der Mann wandte sein Pferd und galoppierte in die Dunkelheit.
Haran war in die Welt der estron zurückgekehrt.

***

In der Küche des Palastes war es spät geworden. Längst war das Feuer im Kamin niedergebrannt und beinahe erloschen.
So sehr hatte sie alle Arkans Geschichte in den Bann gezogen. Der Prinz lächelte seine Zuhörer an, erhob sich und legte einen trockenen Scheit nach, der schnell Feuer fing und ein anheimelndes Licht verbreitete.
"So geschah es, vor so vielen Jahren," sprach er mehr für sich, als zu seinem Publikum. Dann schwieg er und schien sich nur noch an dem Tanz der Flammen zu erfreuen.
"Herr Prinz," ließ sich fordernd Shiris, die kleine Tochter der Köchin vernehmen. "was ist mit Haran geschehen? Was mit Fachtna, dem bösen Mann mit den spitzen Zähnen?"
Die anderen der kleinen Schar murmelten und nickten zustimmend. Auch sie waren begierig es zu erfahren.
Lachend erhob der Hügelprinz in spielerischer Verteidigung die kräftigen Hände.
"Oh, Shiris," schmunzelte er. "du bist wirklich schlimm mit all deinen Fragen. Aber du hast ja recht. So kann man die Geschichte nicht enden lassen."
Das Kind lächelte unsicher, sah ihn aber weiter fragend an. Während der Prinz eine letzte Pfeife stopfte, erklärte er:
"Die Wege Harans und meines Vaters trafen sich noch einmal. Sie beide hatten doch geschworen, Fachtna, den Dunklen, zu jagen. Aber davon werde ich euch ein anderes Mal erzählen."
"Und warum hat nur Ceris, das Menschenmädchen, einen Platz in der Galerie der Mocha Helden, aber nicht die arme Branwen?"
"Wenn du morgen im Park des Palastes spielst, dann sieh dir die Statuen dort genau an, die dort stehen," antwortete der Hügelprinz. "Dort wirst du sie auch finden. Wahrscheinlich hast du sie nur noch nie bemerkt, weil sie immer schon so scheu gewesen war."
Er kniff seiner kleinen Beraterin zart in die Wange, was diese mit Schmollmund und einem Stirnrunzeln quittierte. Sie war doch schon beinahe acht Jahre alt. Viel zu erwachsen für so etwas. Aber der besorgte Blick ihrer Mutter unterband ihren kindlichen Protest.
"Und was ist mit deinem bösen Onkel, Cemrodh? Ist er wirklich tot?"
Arkan atmete tief ein, tat einen Schluck aus seinem Becher, dann sah er wieder in die Flammen. Und seine Gedanken schweiften weit...

"Cemrodh? Er ist seit langer Zeit vergessen....."

 

Ende Teil 2

 

Die Suche nach dem Regenbogen, Teil 3
Arkan e'dhélcu
Eberhard Schramm

 

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Stand:01.01.1970