Die Suche nach dem Regenbogen

 

Teil 2

 

In der großen Küche des Kristallpalastes duftete es noch nach dem einfachen, herzhaften Mahl, welches Mara, die alte Köchin, der kleinen illustren Schar bereitet hatte. Da waren Menrar, der Stallbursche, Figor der Schmied, und Fenya die Küchenmagd nebst ihrer kleinen Tochter Shiris.
"Wir sind jetzt alle satt, Prinz, und wir wollen weiterhören, was geschah," krähte ihr Stimmchen keck in die Stille. Fenya eilte sich dem Prinzen einen großen Humpen mit schaumigen Bier zu reichen, und Menrar bot ihm eine frisch gestopfte Pfeife würzigen Tabaks. Arkan langte einen Kienspan aus dem Herdfeuer und entzündete das wohlriechende Kraut.
Genußvoll sog er den Rauch ein, ließ ihn über seine Zunge quellen, bevor er ihn wieder mit einem behaglichen Seufzen ausstieß. Dann hob er den Krug an die Lippen, tat einen tiefen Zug und wischte sich sehr unprinzlich mit dem Rücken seiner Hand den weißen Schaum vom Mund.
Er blickte auffordernd in die Runde.
"Nun, wertes Publikum, wo hatte ich das letzte Mal geendet?"
Die kleine Shiris, welche es sich wieder vor ihm auf dem Küchenboden bequem gemacht hatte, sah ihn aus großen Kinderaugen an.
"Dein Vater ist gerade durch das Tor gegangen, um seine Heldentaten zu beginnen."
Arkan lächelte das Kind an und fuhr ihr sanft durch den struwelligen Lockenkopf.
"Ob es wirklich Heldentaten waren, mögt ihr bestimmen, wenn die Saga ihr Ende gefunden hat. Denn auch Helden bedienen sich zuweilen Mittel, die einem Helden nicht unbedingt gut zu Gesicht stehen." Doch während er dies sagte, da blitzte der Schalk aus seinen Augen.

***

Arpad taumelte mehr durch die Welt der estron, als daß er sie bereiste. Wie lange er schon auf der Oberwelt im Exil darben mußte, er wußte es nicht mehr zu sagen. Schon seit einer kleinen Ewigkeit hatte er aufgegeben, die Tage zu zählen.
Das Heimweh, der Verlust seiner Heimat nagte und wühlte in seinem Denken. Beinahe reute ihn seine Entscheidung, selber den Bann über sich gesprochen zu haben, dann aber, wenn er an sein Volk und an seine geliebte Gefährtin dachte, da wußte er, dass er recht gehandelt hatte.
Er zog den Mantel enger um sich, denn es war ein kalter Wind aufgekommen und ihm fröstelte. So näherte er sich in einem kleinen Dorf irgendwo in Tir Thuatha.
Einfache Hütten schienen sich unter dem eisigen Wind zu ducken. Doch weißer Rauch aus den Essen der Häuser kündete von einer warmen Unterkunft.
So strebte er den Häusern der estron zu, in der Hoffnung auf ein Nachtlager und einer warmen Mahlzeit.

***

Die Tür des Gasthofes wurde aufgestoßen und kurz drang frostig der Winter in die beheizte Stube. Die Bauern und die Reisenden sahen auf von ihren Bechern, aber da die Tür rasch wieder geschlossen wurde, achteteten sie nicht mehr auf den Neuankömmling.
Arpad suchte sich einen Tisch ganz in einer Ecke und bestellte mit rauher Stimme einen heißen Wein und etwas Eintopf. Die Schankmaid nickte und strebte der Küche zu, um zu holen, wonach ihm verlangte.
Der Hügelprinz lehnte sich zurück und ließ seinen Blick durch die Schenke schweifen. Hier hatten sich einfache Leute versammelt. Entweder müde von ihrem Tagewerk, oder, wie er, ermattet durch einen langen Marsch. Aber sie alle nannten etwas ihr Eigen, wonach er sich so sehr sehnte. Eine Heimat und ein Ziel auf ihrem Weg.
Er seufzte schwer, barg sein müdes Gesicht für einen Moment in seinen rauhen Händen. Wie hatte er nach der Lösung des Rätsels gesucht, welches ihm Skavenra als Rat mit auf den Weg gegeben hatte.

"Dein Weg wird weit, doch geht er nicht ins Ungewisse.
Ein Bruder plant die Tötung eines Kindes.
Ein Mocha, getrieben von grauenhafter Lust,
bewährt mit den Zähnen eines Wolfes,
weiß um so vieles mehr. Weiß um deine Unschuld.
Eine Frau des Hügels wird ein Opfer deiner Herrschaft.
Und ein Kind der estron kennt den Weg zurück.
Der Regenbogen, dessen Ende zu finden deine Queste sein wird,
führt Dich zurück auf deinen Thron.
Doch eile dich, denn die Hand eines Bruders greift nach der Wiege."

Er lachte bitter auf und nahm einen Schluck des heißen Weines, den die Schankmaid nebst dem einfachen Essen vor ihn hingestellt hatte.
"Das Einzige, was sich bislang erfüllt hat, ist der lange Weg... doch führt er immer noch ins Nichts..." murmelte er bei sich. „Ich hätte nicht dem Wahnsinn vertrauen sollen."
Und als er an den zweiten Satz der Prophezeiung dachte, da schauderte ihm. Nein, sein Bruder würde es nicht wagen, einem Kind königlichen Geblüts etwas anzutun... nein, er durfte noch nicht einmal daran denken. Niemals wäre Cemrodh zu so einer Tat fähig. Und doch, - in der langen Zeit, die er nun hier schon wanderte, war ein Misstrauen gegen seine eigene Sippe gleich einem häßlichen Gewächs aufgekeimt. Sollte sein Bruder wirklich derart nach Macht dürsten, dass er sogar vor Verrat und Mord nicht zurück-schreckte?
So saß er da, in trüben Gedanken versunken an dem rohen Holztisch, begann seinen Eintopf zu löffeln und bemerkte nicht den forschenden Blick einer verkrüppelten, gigantischen Gestalt.
"Was suchst du hier, Spitzahn?"
Arpad schrak hoch. Vor seinem Tisch stand ein Mann, gekrümmt durch einen Buckel, das Gesicht grotesk entstellt. Aus einem triefenden Auge, das andere unter einer schweren schlaffen Hautfalte verborgen, stierte der Mensch ihm ins Antlitz, nervös fuhr eine fahle Zunge zwischen schmalen Lippen hin und her.
"Ich habe dich etwas gefragt, Spitzahn, oder solltest du es etwa nicht sein?" Er entblößte schwärzliche Zahnruinen.
"Du sollst die Gäste nicht belästigen, Haran!" bellte befehlend die Stimme des Wirtes durch den Raum. Der Gerügte wand sich bei diesen Worten wie unter dem Biß einer Peitsche.
"Laßt ihn nur! Ich bin begierig zu wissen, was er mir zu sagen hat," ließ sich der Mocha vernehmen.
"Wenn Ihr meint, aber beklagt Euch nachher nicht, wenn er Euch gebissen hat," lachte der Wirt und einige andere der Gäste stimmten mit ein.
Arpad achtete nicht auf das Gelächter und bot dem Buckligen einen Stuhl an seinem Tisch.
"Zeig mir deine Zähne, kleiner Mann," verlangte dieser. "Sonst werde ich mich nicht zu dir gesellen."
Sich im Stillen über den merkwürdigen Wunsch wundernd lächelte der Hügelprinz den Entstellten an. Schnell, wie eine zupackende Schlange, stieß die schwielige Hand des Verwachsenen hervor und faßte die Wangen Arpads.
"Du bist nicht er, aber du scheinst wie er zu sein... oder auch nicht...," brabbelte er. Dann setzte er sich zu ihm an den Tisch. "Haran will trinken, gib ihm was, und er wird dir von Spitzzahn erzählen..."
Arpad winkte der Bedienung und bald darauf stand ein Krug Bier auf dem Tisch.
Das Mädchen, welches den Humpen gebracht hatte, grinste den Mocha an.
"Ich wünsche Euch viel Vergnügen bei seiner Gruselgeschichte."
"Ist keine Geschichte, ist alles wahr," beteuerte der Mann, griff aber rasch nach dem Humpen, so als fürchtete er, ihn wieder weggenommen zu bekommen.
Das Mädchen lachte hell und eilte sich einem weiteren Gast sein Getränk zu bringen.
"Was willst du mir erzählen, Haran? So war doch dein Name, nicht wahr?"
Dieser tat einen tiefen Schluck und rülpste laut. "Ich habe schon einmal jemanden wie dich gesehen. Er roch fast so wie du, und er war klein und hatte auch gespitzte..." mit diesen Worten deutete er auf die Ohren seines Gegenübers.
Arpad verfluchte sich ob seiner Fahrlässigkeit. Hatte dieser Tölpel ihn doch so leicht durchschauen können.
"Aber ich werde es nicht sagen, denn sonst wird der andere kommen und mich holen, zusammen mit seinem kleinen Häßlichen..."
"Wer wird kommen?"
"Ich schwöre es, ich sah, wie er aus dem Stein kam und mit ihm zwei weitere. Einer hatte Angst... er sah mich und fauchte mich an. Und da sah ich scharfe Fänge in seinem Mund. Er führte eine schöne Frau mit sich, die weinte. Sie roch auch wie du... und sie hatte etwas verloren...aber das zeig ich dir nicht...ich gebe es dir nicht, denn es ist viel wert."
Nun war Arpads Interesse vollends geweckt.
"Lass es mich nur sehen, und du bekommst noch einen Humpen. Ich verspreche Dir, ich werde es dir nicht nehmen, nur sehen will ich es."
Der Verwachsene stützte sich schwer auf die Tischplatte und sah ihn aus dem einen wachen Auge scharf an.
"Gut, zeigen werde ich es dir, aber nur heimlich, denn die anderen erkennen nicht."
Arpad winkte nach einem weiteren Krug.
Als dieser gebracht wurde, förderte Haran ein Säckchen aus feinstem Leder aus seiner groben Gewandung. Dem Prinzen stockte schier der Atem, denn er erkannte das Wappen der Finias, welches fein auf das weiche Material gestickt worden war. Ein Wappen aus seinem Hügelreich!
"Da sind wertvolle Perlen drin, sieh nur!" Der Bucklige ließ ein wenig des Inhaltes in seine Pranke gleiten. Es waren wunderbare Murmeln. Gewiß, ein einfacher Geist konnte sie für Perlen halten. Aber es waren eben nur einfache Murmeln, doch erschienen sie dem Prinzen wie die kostbarsten Diamanten.
Arpad mühte sich seine Aufregung im Zaum zu halten. Dies mochte eine erste Spur sein.
<der Mocha mit den Zähnen des Wolfes> brannte sich in sein Denken, derjenige, der um seine Unschuld wußte...
"Und Haran weiß, wo sie hingegangen sind," sagte der Mann und hob den Krug.
"Zeige es mir, und dieser Stein soll Dir gehören," sagte Arpad.
Er zog einen funkelnden Saphir hervor und hielt diesen dem Buckligen hin. Dieser ergriff den Stein und hielt ihn prüfend vor sein gesundes Auge.
"Ja, Haran wird dich führen, aber nicht selbst dem Reißzahn gegenüberstehen. Wir brauchen Pferde, denn es ist an einem Tage nicht zu Fuß zu erreichen."
Arpad nickte und reichte Haran einige Münzen. “Besorge mit diesem Geld zwei Pferde. Ich werde dich und die Tiere dann morgen hier an der Schenke erwarten, und zusätzlich zu deinem Stein wirst du auch das Pferd behalten dürfen. Doch sage niemandem etwas von unserem Vorhaben, und vor allen Dingen, erzähl keinem von mir, und was du über mich weißt. Willst du das für mich tun, mein großer Freund?"
Ein Strahlen ging über das Gesicht des Buckligen. "Freund," flüsterte er leise und ließ das Wort auf seiner Zunge zergehen wie einen vollmundigen Wein. "Nein, kleiner Mann kann ganz beruhigt sein. Haran wird ihn nicht verraten, denn," er sah verächtlich in den Schankraum, "die Dummen hier können nicht sehen, glauben nicht den Geschichten von Haran, deswegen sehen sie auch den kleinen Hügel nicht."
"Fürchtest du dich gar nicht vor mir?" flüsterte Arpad gedehnt.
"Warum sollte ich Angst vor Freund haben? Die Anderen sehen mit den Augen, ich kann mit Herz sehen. Habe ich von Mutter gelernt. Und du bist nicht böse, nur anders, auf Suche. Suchst du nach der schönen Frau? Nein, sag’s nicht! Mutter sagte immer, wenn man einem von euch begegnet, dann muß man höflich sein.“ Da wurde sein Gesicht mit einem mal von Sorge gezeichnet. „Oh, eben war Haran nicht höflich, bist du böse mit mir?"
Arpad lächelte. "Nein, großer Freund, ich bin dir nicht arg. Geh nun und komme in der Früh mit den Pferden."
Der Mensch erhob sich und verließ fröhlich glucksend die Schenke.
Der Mocha leerte seinen Krug und blieb noch einige Momente sitzen. Dann winkte er der Maid, zahlte seine Zeche und bestellte ein Zimmer für die Nacht. Und zum ersten Mal seit unzähligen durchwachten Nächten fand er in einen tiefen, erholsamen Schlaf. Denn jetzt hatte er endlich eine erste Spur.

***

Bevor der Hahn seinen ersten Schrei tat, um den Morgen zu begrüßen, wurde Arpad durch ein lautes Klacken an dem Fenster seines Zimmers geweckt. Noch den Schlaf in den Augen, öffnete er es. Unten im Hof wartete ein ungeduldiger Haran mit zwei Pferden am Zügel.
"Eilt Euch, Freund," rief er leise. "Es wird ein langer Ritt."
Der Geweckte nickte bestätigend, schlüpfte in seine Kleidung, nahm sein Bündel und war gleich darauf die Treppen hinunter bei seinem Führer.
Und bevor die Morgensonne mit zaghaften Strahlen den Horizont glutrot küßte, da gaben die ungleichen Weggefährten ihren Tieren die Sporen und verließen den Ort, irgendwo in Tir Thuatha.

***

Eine alte Mühle. Ihre Flügel hatten sich schon lang nicht mehr im Wind gedreht. Die Linnen hingen in Fetzen herunter und bewegten sich träge in der Abendbrise.
Der volle Mond beleuchtete gespenstisch die Stätte.
Arpad bemerkte, dass sein Begleiter bebte, - und es war nicht die Kälte, die ihn frösteln ließ. Seine gesamten Gebahren, seine Stimme verrieten die Angst, die dieser Mensch verspürte.
"Haran wird nicht weitergehen. Da drinnen wohnt das Böse. Ich habe schon Schreie gehört. Die kamen von ganz tief unten. Da ist bestimmt eine böse Unterwelt. Ich kann nicht gehen..." Sein Blick bat um Verzeihung. Arpad sah ihn freundlich an.
"Du hast deinen Teil erfüllt, Freund Haran," sagte Arpad. "Was nun geschieht, ist nicht mehr die Sache der Menschen. Ich danke dir für deine Hilfe, doch nun kann etwas geschehen, dessen einen Freund auszusetzen ich nicht gewillt bin. Reite wie der Wind, und vergiß, daß du mir je begegnest bist." Er umarmte den großen Mann kurz, dann wandte er sich schnell ab, wollte er doch nicht, daß sein Gegenüber das verräterische Glitzern aufsteigender Tränen in seinen Augen bemerken könnte.
Haran wendete sein Tier, schaute noch einmal über seine Schulter, lächelte kurz und lenkte dann das Pferd in die Dunkelheit.
Arpad atmete tief durch, dann strebte er dem Eingang der Mühle zu.

***

Knarrend öffnete er die schwere Eichentür. Schale, kalte Luft schlug dem Prinzen entgegen. Uralte Spinnweben wehten in sein Gesicht.
"Hier ist seit Jahrzehnten niemand mehr gewesen," murmelte er. Seine scharfen Augen durchdrangen die Dunkelheit. Überall war Verfall und Moder zu erkennen. Aber nirgends ließ etwas auch nur auf die Spur von Leben schließen. Wenn man einmal von dem allgegenwärtigen Ungeziefer absah.
Da erfüllte ein langer Schrei, der in einem Gurgeln erstickte, den Raum. Ein Ruf, zeugend von tiefster Pein und Qual.
Arpad gefror das Blut in den Adern.
Trotz des Grauens, das er empfand, konzentrierte sich der Mocha, suchte den Ort zu finden, dem dieser Laut entsprungen war. Er kam von unten, unter seinen Füßen mußte es sich befinden. Sollte Haran mit der bösen Unterwelt Recht behalten haben?
Der kalte Schweiß brach sich Bahn, doch trotzdem begann der Hügelprinz einen Weg zu suchen, der ihn nach unten bringen konnte.
Unter schimmeligen Mehlsäcken wohl verborgen, fand er endlich eine Falltür, beschlagen mit Metall und einem bronzenen Ring, um sie zu heben. Er umfasste das Rund mit beiden Händen. Seine Muskeln traten stählern unter seinem Hemd hervor, als er das schwere Holz in die Höhe wuchtete.
Vor ihm lag eine enge, steile Stiege, die in die Tiefe führte. Er entzündete seine mitgeführte Öllampe, und begab sich hinab.

***

Unter dem Boden öffnete sich ein Gewölbe, das wahrscheinlich nicht vom Müller angelegt worden war. Die Treppe mündete in einer großen Empfangshalle, von der sechs Korridore sternförmig abgingen.
Arpad zog seinen Degen, hielt den Atem an und lauschte. Da vernahm er ein leises Wimmern, nein, eher erahnte er es.
Entschlossen wählte er den Flur, aus dem das Weinen gedrungen war. Er gelangte in Räume, ausgelegt mit wertvollen Teppichen, geschmückt mit Kostbarkeiten aus allen Winkeln Magiras. Doch hatte er kein Auge dafür, denn über all dem Luxus lag schwer der Geruch von Tod und Blut.
Da erreichte er eine Tür, welche von außen verriegelt war. Es war offensichtlich, dass die Kammern hinter der Pforte dazu bestimmt war jemanden gefangen zu halten.
Der Prinz atmete tief ein, fürchtend was ihn erwarten könnte, und schob vorsichtig den Riegel zurück.
Einem ungeübten Auge wäre an dem Zimmer, welches sich ihm bot, nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Es war geschmackvoll eingerichtet. Ein gepolster-ter Diwan lud ein zum Ruhen. In einem Kamin prasselte ein munteres Feuer und verbreitete anheimelnde Wärme. Laternen an den Wänden erhellten die Stätte.
Rosenblüten, die in einer flachen, mit aromatischem Öl gefüllten Schale trieben, versuchten vergeblich mit ihrem Duft einen unerträglichen Geruch zu überdecken. Den Gestank von Blut, Erbrochenem und nackter Angst.
Im letzten der großzügig angelegten Kammern fand er endlich das, wonach er suchte und auch befürchtet hatte. Ein großer Raum wurde dominiert von einem riesigen Himmelbett, dessen Vorhänge zugezogen waren. In diesem Zimmer war der Boden nur nackter, kalter Fels. Keine warmen Felle oder Parkett aus wertvollem Holz. Und die rostroten Flecken ließen Arpad schaudern, denn er erkannte, dass es Male eingetrockneten Blutes waren. Eine Bewegung hinter den Vorhängen des Bettes erregte seine Aufmerksamkeit. Er schlug den schweren Stoff zurück und ihm stockte der Atem.
In einer Ecke der Liegestatt hatte sich eine Mocha zusammen gekrümmt. Große, angstvolle Augen trafen Arpad bis ins Mark. Zitternd drückte sich das arme Geschöpf in den hintersten Winkel. Mit Grauen erkannte er furchtbare Wundmale an ihrem Gesicht, ihren Händen und Armen, und durch den weißen Stoff ihres Nachtgewandes nässte blutrot ihr Lebensquell.
Arpad kniete sich auf den Rand der Matratze und sprach beruhigend auf die gepeinigte Frau ein. Aus großen Augen voller Angst starrte sie ihn an. Als er versuchte sich ihr langsam zu nähern, presste sie sich nur umso fester an die Wand. Ein Wimmern entrang sich ihrer Kehle. Sie öffnete ihre Lippen zu einem stummen Schrei. Da keuchte der Prinz entsetzt auf.
Man hatte ihr die Zunge aus dem Munde gerissen!
"Sie sind so zerbrechlich, nicht wahr?"
Arpad fuhr herum. Geräuschlos hatte sich ein Mann in den Raum begeben. Gekleidet in dem Gewand eines reichen Hügelvölklers, hatte er sich in den Eingang des Zimmers gestellt und lehnte betont ungerührt an der Türzarge.
Der Prinz hob drohend seine Waffe in die Richtung des Mannes.
"Zeichnet Ihr Euch für ihren Zustand verantwortlich?" fragte er gefährlich leise.
Der Angesprochene lächelte kalt und entblößte dabei scharf und spitz zugeschliffene Zähne.
<Ein Mocha, getrieben von grauenhafter Lust, bewährt mit den Zähnen eines
Wolfes, weiß um so vieles mehr. Weiß um deine Unschuld>, durchfuhr es Arpad siedendheiß.
Langsam ging er auf den Unheimlichen zu.
Dieser zog seinen schlanken Degen und verbeugte sich mit einer scheinbar höflichen Geste.
"Man nennt mich Fachtna, andere heißen mich auch unhöflicherweise Spitzahn. Darf ich um Euren werten Namen bitten?"
"Ich bin Arpad e´dhelcú, Prinz des Hügelreiches! Und ich frage Euch noch einmal: Seid Ihr schuld an den Wunden dieser Frau?"
Der grauenerregende Mocha - denn es handelte sich sehr wohl um einen solchen - war nun vollends in den Raum getreten. Gleich zweier Raubkatzen, den Gegner taxierend, wann man den tödlichen Sprung ansetzen kann, umkreisten sich beide Männer. Kurz und hell trafen die Spitzen ihrer Klingen aufeinander, abtastend, wie die Aufforderung zweier Liebender zu einem intimen Tanze.
"Oh, welche Ehre in meinem bescheidenen Heim,“ spöttelte Fachtna. "Der Herr der Tuach na Moch persönlich sucht mich auf. So hat der Plan Eures Bruders Erfolg gezeigt?"
Arpad eröffnete den Kampf mit einigen raschen Hieben. Er hoffte nicht wirklich seinen Gegner jetzt schon treffen zu können. Vielmehr war es ein Testen von Fachtnas Geschick im Umgang mit der Waffe. Mühelos wehrte dieser die Angriffe gekonnt ab und ließ sie ins Leere gleiten. Nun war es der Dunkle, der seinen Degen vorschnellen ließ, blitzartig nach einer Lücke in Arpads Verteidigung suchend.
Doch auch Arpad vermochte es, die tödlichen Stiche zu parieren. Sie trennten sich, ihre Blicke schätzten den jeweiligen Gegner genau ab, achteten auf die kleinste Regung des anderen, sei es ein verräterisches Zucken der Muskeln, oder aber auch nur ein sich plötzliches Verengen der Augen, welche einen weiteren Ausfall ankündigte.
Dann wieder sprachen die Waffen. Klirrend stieß Metall auf Metall. Der tödliche Tanz erstreckte sich durch den gesamten Raum. Die Welt um sich vergessend gab es für Arpad nur noch die Fratze seines Gegners und den wirbelnden Degen. Mal schien der eine die Oberhand zu gewinnen, und dann wiederum vermochte der Andere seinen Gegner in die Defensive zu treiben.
Da geschah es, dass beide Klingen sich ineinander am Heft verhakten. Mit vor Anstrengung geröteten Gesichtern versuchte ein jeder den anderen durch Kraft niederzuringen. Schwer atmend standen sich die beiden Kontrahenten nun gegenüber. Ihre Waffen gegenseitig gebunden, starrten sie sich mit abschätzenden Blicken über das blitzende Metall hin an.
"Wenn Ihr es genau wissen wollt, ja, ich fügte ihr die Wunden zu, wie auch so vielen vor ihr, die letztendlich an ihnen starben," sagte Fachtna hämisch und in seinen Augen funkelte es böse auf.
Arpad brüllte vor Wut, stieß ihn von sich und ging den Finsteren wie ein Berserker an. Seine Hiebe prasselten nur so auf den dunklen Mocha. Dieser aber wusste sehr wohl seine Klinge zur Verteidigung zu gebrauchen. Und als er seine Chance sah, da zuckte die seine vor und fügte dem Prinzen einen Schnitt im Gesicht zu. Halb geblendet vom Blute, das in sein linkes Auge schoss, taumelte dieser zurück.
Fachtna bleckte die Zähne.
"Bemüht Euch nicht, Prinzlein. Ihr könnt nicht gewinnen. Denn ich führe diese Waffe schon viele hundert Jahre, seitdem ich das Reich der Mocha verlassen musste."
Arpad wischte sich mit dem Rücken seiner Hand das Auge sauber.
"Wie kann es dann sein, dass Ihr noch immer lebt?" suchte der Prinz ihn im Kampfe innezuhalten, um selber Atem zu schöpfen.
Fachtna gab bereitwillig Auskunft, so, als genösse er das, was er nun sagte: "Seht, das junge Blut der Mocha Frauen, welches ich zu trinken pflege, scheint mich jung und kraftvoll zu halten. Indem Ihr mich vor so langer Zeit aus dem Reich banntet, habt Ihr Euer eigenes Monster geschaffen." Er atmete tief durch und lachte leise, während er den Degen vor sich kreisen ließ. "Wisst Ihr, werter Prinz, wir sind uns ähnlicher als wir glauben. Auch Ihr müsst ihn schon spüren, fühlen den Verfall, genau wie ich es tue. Gebt Euch mit mir zusammen, ich kann Euch soviel lehren...," seine Stimme bekam einen schmeichelnden Ton.
Eiskalter Zorn umfing Arpad. "Niemals sind wir gleich,“ schrie er auf, und Streich um Streich seiner Klinge hieb er auf Fachtna ein. Nicht mehr länger focht er konzentriert und überlegt, sondern ließ seinen Gefühlen freien Lauf.
Und dieser Zorn ließ ihn blind werden um der Dinge, die um ihn geschahen. So bemerkte er die greuliche Gestalt des Hügeltrolls nicht, der nun leise schlurfend den Raum betrat und sich noch im Hintergrund hielt.
Fachtna, dem das Eintreffen seines Sklaven ebenfalls entgangen war, verspürte nun zum ersten Male aufkeimende Furcht. Mühsam nur erwehrte er sich den Hieben Arpads, wurde durch flirrendes Metall quer durch den Raum getrieben. Dann stand er mit dem Rücken zur Wand. Ein letzter blitzender Schlag und Fachtnas schlanke Klinge schnellte aus dessen Hand, schlidderte über den Boden, unerreichbar für ihren Meister.
Der Prinz drohte mit der Spitze seines Degens in die Halsbeuge seines Gegners.
"Wenn Ihr irgendwelche Götter habt, die Ihr noch verehrt," zischte er, "dann macht jetzt Euren Frieden mit ihnen!"
Fachtna hob die Hände und sah ihn an. "Tötet mich meinethalben, aber Ihr werdet nie erfahren, was Euer Bruder wirklich im Schilde führt."
Arpad zog grimmig die Augenbrauen zusammen. Dann aber sagte er: "Ihr habt den Tod tausendfach verdient. Nennt mir nur einen guten Grund, warum ich Euch schonen sollte."
Der schon Besiegte kicherte plötzlich spöttisch.
"Wäre ein treuer Diener ausreichend, der sich nicht scheut, auch erhabenes Blut zu vergießen?" Und über die Schulter des Prinzen hinweg rief er: "Töte ihn nicht, Sklave. Dein Herr will ihn lebend haben."
Kaum hatte er es ausgesprochen, da verspürte Arpad den Druck einer Dolchspitze in seinem Rücken. Er erstarrte, sich innerlich verfluchend, so seine Vorsicht fahren gelassen zu haben. Langsam hob er nun seinerseits die Hände und war gerade im Begriff seine Waffe an Fachtna zu übergeben, da tat es hinter ihm einen furchtbaren Schlag, gefolgt vom dumpfen Aufschlag eines Körpers.
Die Waffe nicht mehr zwischen seinen Schultern fühlend, wirbelte er herum.
Da stand Haran, einen schweren Knüttel in seinen Pranken. Vor ihm auf dem kalten Boden lag hingestreckt die Gestalt eines schmutzigen Hügeltrolls, die sehnigen, bräunlichen mit Pusteln bedeckten Glieder reglos, als habe man einer Marionette die Fäden durchtrennt.
"Haran!“ rief der Hügelprinz erfreut. „Nie hätte ich es für möglich gehalten einmal so glücklich zu sein, einen Menschen zu sehen." Doch schnell wandte er sich wieder Fachtna zu. "Haran, nimm ein Seil und binde den Widerling. Er hat mir noch Rede und Antwort zu stehen."
Der Bucklige grinste breit und tat, wie ihm geheißen. Auf dem Weg in das andere Zimmer hob er im Vorbeigehen Fachtnas Waffe auf.
Arpad schob seinen Dengen in die Scheide zurück und näherte sich erneut dem riesigen Bett. Noch immer bebte die Frau aus dem Hügel am ganzen Körper. Er streckte sacht seine Hand auf, doch sie wich zurück, ihn in aufkommender Panik anstarrend. Nichts half, kein gutes Zureden, sanftes Singen oder einfach nur zärtliche Laute, die er von sich gab. Immer, wenn er sich ihr auch nur um einige wenige Zoll näherte, schluchzte sie auf und barg ihr geschundenes Gesicht in die weichen Linnen des Bettes.
Arpad seufzte leise. "Du armes Geschöpf, was hat er dir nur angetan..?"
"Lass es mich versuchen."
Der große Mensch war hinter ihn getreten und blickte aus Augen voller Mitleid auf die gequälte Seele.
Arpad trat zurück, und der Bucklige kniete sich vor das Bett und begann eine ruhige Melodie zu summern. Das Mädchen hob lauschend den Kopf. Es richtete seine Auf-merksamkeit ganz auf den Hünen. Er machte keine Bewegung, summte nur weiter in seiner tiefen, warmen Stimme.
Langsam schien sie Mut zu fassen, und vorsichtig rutschte sie zu ihm herüber.
"Sie ist wie ein kleines Kind," dachte Arpad betroffen. "Ist sie in ihrem Geist geflohen?"
Der Bucklige breitete langsam die Arme aus. Zuerst noch schrak sie zurück. Vielleicht war seine Bewegung zu rasch gewesen. Doch dann, als er nicht aufhörte, sein wortloses Lied zu intonieren, flüchtete sie sich in seine starken Arme, kuschelte sich an seine mächtige Brust und begann endlich zu weinen.
Wortlos verließ der Hügelprinz den Raum und suchte das Zimmer auf, in das Haran die Gefangenen gebracht hatte.

***

Er stellte sich vor den gefesselten Mocha und verschränkte die Arme.
"Ich wiederhole mich nur einmal: Was für einen Grund könnte es geben, dass ich dich nicht sofort töte?"
Fachtna grinste böse und entblößte dabei seine mörderisch zugefeilten, spitzen Zähne.
"Ich weiß, dass du mich brauchst, um deine Unschuld zu beweisen, " zischte er heiser. "Ich kann dir deinen guten Leumund zurückgeben," lockte der Finstere. "Aber ich werde es natürlich nicht umsonst tun."
"Glaubst du wirklich, du bist in der Lage verhandeln zu können?" fragte Arpad. "Bedenke, wer gefesselt am Boden sitzt, und wer das Schwert in Händen hält."
Die Augen Fachtnas funkelten verächtlich. "Ihr wollt mir drohen? Pah!" Er spie aus.
Arpad bebte vor unterdrückter Wut. Nur zu gerne hätte er von seiner Waffe Gebrauch gemacht und das schwarze Herz mit einem raschen Stoß durchbohrt. Aber Fachtna hatte Recht: Er brauchte ihn und sein Wissen.
"Was also willst du?"
"Ich will dein Versprechen, dass du mich frei gehen lässt."
"Was lässt dich vermuten, dass ich, falls ich zustimme, dich am Ende nicht doch töte?"
Fachtna bleckte grinsend die gelben Zähne. "Ich will deinen heiligsten Eid. Dann werde ich dir trauen. Ich glaube, man kann dir trauen, Prinz des Hügelvolkes."
Obwohl es ein Kompliment gewesen war, stieß es Arpad übel auf. Wenn er seinem Herzen gefolgt wäre, hätte er ihn geschlagen. Doch da er um die Wichtigkeit dessen wusste, was ihm Fachtna an Informationen geben konnte, hielt er sich im Zaum.
"Ich schwöre bei Moch, dem Herrn des endgültigen Todes, dass ich dich gehen lasse. Was hast du mir zu sagen?"

***

Die ungleichen Gefährten standen an der Pforte und beobachteten, wie Fachtna und sein missgestalteter Diener in der Dunkelheit verschwanden.
Die kleine Frau aus dem Hügel saß auf Harans Schulter. Noch immer hatte sie kein Vertrauen zu Arpad gefasst. War es doch einer seines Volkes gewesen, der ihr all das Unaussprechliche angetan hatte.
Haran kratzte nachdenklich seinen massigen Schädel.
"Ich verstehe nicht. Zuerst gibt es Kampf auf Leben und Tod. Und du, Freund, gewinnst. Aber du tötest den Bösen nicht. Nein, du lässt ihn sogar frei, warum?"
"Glaub mir, " seufzte Arpad, "es war eine schwere Entscheidung, aber wenn dies alles hier ein Ende hat, dann werde ich zurückkehren und ihn jagen. Und wenn es mich bis an das Ende der bekannten Welten führen sollte." Dann sprach er mehr zu sich als zu den anderen. "Skavenra, deine Weissagung hat wieder Recht behal-ten. Mit dem, was mir der Widerling gegeben hat, werde ich meine Unschuld beweisen können. Nun heißt es noch einen Weg zurück ins Reich zu finden. Und dies wird eine schwere Suche. Wie soll man nur das Ende eines Regenbogens finden?" Er wandte sich an die Frau und den Buckligen. "Vor mir liegt noch ein weiter Weg. Meine Queste ist noch lange nicht am Ende. Ich muss, so fühle ich, die Prophezeiung erfüllen und rechtzeitig den Weg ins Reich finden. Und da gibt es noch ein weiteres Problem... Sie vertraut dir, nicht mir." Arpad versuchte das Gesicht der Mocha zu berühren, aber sie wich ängstlich zurück. "Doch sie muss zurück in den Hügel kommen. Denn hier wird sie vergehen.“
Haran kaute nachdenklich auf seiner Lippe.
"Ich bin nun reicher Mann, habe kostbaren Stein und schönes Ross. Doch mein Herz ist nicht froh. Ich lasse nichts zurück in meinem Dorf. Wenn der kleine Herr es erlaubt, wäre ich gerne dein Diener. Denn ein Herr bist du, und ein Herr braucht einen Diener. Magst du einen hässlichen Diener, ...Herr?" Er senkte den Blick.
"Ich würde mich glücklich schätzen, dich an meiner Seite zu haben, Freund Haran." Er bot dem großen Mann die Rechte, welche dieser freudig ergriff. "Und nicht als Diener, sondern als Gefährte in dieser gefährlichen Welt."
Es war das erste Mal, dass Arpad diesen riesigen Menschen jauchzen hörte.
<Und er wird Freundschaft finden, wo man sie am wenigsten erwartet.>

 

Ende Teil 2

 

Die Suche nach dem Regenbogen, Teil 2
Arkan e'dhélcu
Eberhard Schramm

 

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Stand:01.01.1970