Für das Leben eines Tuach na Moch

 

Es ist Markttag in Cor Dhai. Es ist laut, Händler preisen schreiend ihre Waren an, Gaukler erfreuen das Auge der Besucher, überall und an allen Orten wogt das Leben.
Um einen Geschichtenerzähler hat sich Jung und Alt geschart und lauschen seiner Mär. Seine Stimme entführt die Zuhörer in eine Welt der Sagen und Mythen. Und während die Sonne tiefrot am Horizont versinkt und den Kristallpalast in ein unwirkliches Licht taucht, beginnt er mit seiner Geschichte.
Große Kinderaugen und skeptische Blicke der Erwachsenen folgen seiner Erzählung. Ob sie wahr ist? Dies weiß nur Moch und diejenigen, die sie selbst erlebten, zu sagen.

"Seht, werte Lauschenden," Der Tuach na Moch weist mit dem Arm auf den Palast des Prinzen.
"Dort, im Haus des Prinzen lebt Chat Bidu. Geachtet, aber von vielen nicht geliebt, sondern vielmehr ob ihrer geheimen Künste gefürchtet. Die Druidin aus der Welt der Sterblichen.
Was ihr widerfuhr, davon will ich Euch berichten. Ob gut oder schlecht, dies sollt Ihr selber entscheiden. So hört denn ihre Geschichte.

***

Es war Markt in Cor Dhai. Genau so wie es heute einer ist. Bunte Stände, hinter denen die Händler ihre Güter feilboten, standen im lustigen Chaos wild durcheinander. Farbenfrohe Wimpel, die munter in der Abendbrise flatterten, rundeten das friedliche, fröhliche Bild vollends ab.
Und über allenthalben lag der Duft von Köstlichkeiten, sei es von süßem Kuchen, Kräutern oder aber in Honig goldgelb gebratenem Geflügel in der Luft. Feuerspucker, Schwertschlucker und geschickte Akrobaten zeigten ihr Können, verzauberten mit ihren Tricks ihr Publikum.
Doch, wo das Licht herrscht, da ist auch der Schatten nicht fern. Die Diebe und Beutelschneider machen an solchen Tagen eine reiche Beute. Und manch ein unvorsichtiger Mocha verliert an solchen Tagen seine Geldbeutel.
Aber an diesem Abend war noch ein Raubtier in Hügelgestalt ganz anderer, finsterster Art auf Beute aus.
Auch wenn man in der zierlichen Mädchengestalt, die unauffällig mit der Menge verschmolz, nichts Außergewöhn-liches vermuten würde, so war sie doch eines der gefährlichsten Geschöpfe, welche jemals eine Familie hervorgebracht hatte. Die junge Attentäterin war sich ihres Opfers sicher. Gleich einem Bluthund hatte sie sich auf die Fährte ihrer ahnungslosen Beute gemacht.
Nun wartete sie nur noch auf eines: Den richtigen Zeitpunkt, um ihren tödlichen Auftrag auszuführen.

Chat Bidu war glücklich. Obwohl man es der schlanken Druidin nicht ansehen konnte, freute sie sich wie ein kleines Kind. Hatte sie es doch wieder geschafft, ihrer Aufpasserin Brianna ein Schnippchen zu schlagen und sie so einfach im Gedränge zu verlieren.
Da nutzte es auch nichts, dass Arkan e´dhelcú schon seit langem verfügt, dass immer, wenn Chat den Drang verspürte, die Enge ihrer Räume zu verlassen, mindestens einer der Fianna sie begleiten solle. Denn Arkan wusste sehr wohl, dass es aufgrund der Anwesenheit der jungen Menschenfrau, nicht nur Freude im Reiche der Tuach na Moch gab.
Nein, vielmehr auch Abneigung, wenn nicht gar blanker Hass wurde ihr aus vielen der Häuser entgegengebracht. Natürlich würden sie dies niemals öffentlich dem Prinzen zutragen, aber ob sie es nun wollte oder nicht, schon längst war Chat zum Ball im Spiel der Häuser geworden.
Denn man neidete ihr den Einfluss am Hofe.
Doch all dies konnte ihre momentane gute Laune nicht verderben. Sie hatte einige gute Einkäufe tätigen können. Seltene Steine, Pergament und Tinte, und sogar einen Band Märchen und Mythen zur allabendlichen Zerstreuung.
Für einen kurzen Moment tat ihr Brianna etwas leid. Sie würde ganz schön was zu hören bekommen, wenn ihr Hauptmann herausfinden würde, dass es Chat wieder einmal gelungen war, ihrem "schützenden Schatten" zu entkommen.
Aber wirklich nur für einen kurzen Augenblick. Denn schon wurde ihre Aufmerksamkeit wieder vom Markttreiben in Anspruch genommen. Der Duft nach frischen Kräutern lockte sie zu einem Zelt, vor dem der Händler seine Ware ausgebreitet hatte. Lautstark lobte er die Wirksamkeit seines Angebotes.
"Seht her, Ihr lieben Leute. Mit diesen Wundern aus dem Forst For`ell könnt Ihr beinahe alles erreichen. Dies hier in meiner Hand zum Beispiel verbreitet, wenn man es verbrennt, einen wunderbar aromatischen Duft," und verschwörerisch, verschmitzt lächelnd fügte er hinzu, "manche sagen sogar, genossen aus einer beinernen Pfeife, macht dieses Kräutlein schöne Träume…"
Eine kleine Gruppe von Interessenten hatte sich vor seinem Stand versammelt und lachte höflich, wenn der Händler seine Witze riss.
Chat zog die Brauen zusammen, als sie das Bündel Gräser in der Rechten des Marktschreiers erkannte. Es war Feenschuh, eine sehr seltene Pflanze mit einem ungeheuren Potenzial. In Tir Thuatha war dieses Kraut nicht mit Gold aufzuwiegen, - und dieser Narr wollte es in eine Pfeife stecken und anzünden.
Nur wenige Klafter hinter ihr hatte sich eine junge Tuach na Moch in einen verwaisten Hauseingang geschlagen, öffnete ohne hinzusehen eine schmale Tasche und förderte ein beinernes Blasrohr zutage. Ihr Opfer nicht aus den Augen lassend, griff sie in einen Lederbeutel, der an ihrem Gürtel befestigt war, und entnahm ihm einen kleinen, gefiederten Pfeil.
Ein kurzer Blick aus eiskalten grauen Augen überzeugte sie, dass das Geschoß mit genügend Gift versehen war. Dann führte die Mocha den gefiederten Tod ins Blasrohr ein und hob es an die vollen Lippen.
Den Rücken der Druidin genau visierend holte sie Luft und bereitete sich auf den Todesschuss vor….

Ein weiterer, verschlagen wirkender Mocha schien ebenfalls Interesse an dem Kraut zu haben.
"Ich biete zwei As Goria, " hörte man seinen Ruf.
Die Attentäterin im Dunkel schloss ihr linkes Auge, um einen guten Schuss platzieren zu können.
"Ein As Dhai, ein As Goria," rief Chat Bidu, "um dem ein Ende zu machen."
Plötzlich beugte sie sich hinunter, um ihren rechten Stiefel auszuziehen, denn hier hatte sie ihre Barschaft versteckt, wenn sie auf den Markt ging.
Hinter ihr, unerkannt, setzte die Mörderin das Blasrohr ab und zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen.
Die Thuatha entnahm ihrem Stiefel die Münzen und richtete sich wieder auf. Die dunkle Gestalt im Tor erkannte ihre zweite Chance und riss das Rohr erneut an den Mund.
"Glückwunsch, werte Frau, " schmeichelte gerade der Händler, "mit Eurem Kauf könnt Ihr manch Zipperlein heilen."
Chat entschied sich für ein charmantes Lächeln, aber innerlich dachte sie wohl nur: "Erzähl du nur, du Schwachkopf."
Und dann geschah alles sehr schnell. Als sie auf den Händler zuging, um ihn zu bezahlen und ihre kostbaren Pflanzen in Empfang zu nehmen, entschied sich die Attentäterin zum Schuss. Ein kaum hörbares "Plop", und der tödliche Pfeil war unterwegs.
Doch ein unbedachter Schritt ließ die Druidin straucheln, und die wertvollen Münzen entglitten ihrer Hand. Rasch bückte sie sich, und das giftige Geschoß verfehlte sie nur knapp.
Aber den Mocha, der ebenso wie sie, jenes Kraut käuflich erwerben wollte, verließ das Glück. Der kleine Pfeil bohrte sich in seinen Nacken, er hatte gerade noch Zeit, den Dorn aus der Wunde zu ziehen, ihn ungläubig anzustarren, bevor er mit brechendem Blick in sich zusammensank.
Mit Entsetzen sah Chat Bidu auf den vor ihr liegenden Körper, wohl wissend, dass das Attentat ihr gegolten hatte. Sie kniete sich neben den Unglücklichen, bettete seinen Kopf in ihren Schoß und wischte seine schweißnasse Stirn.
Das Murmeln der Umstehenden bemerkte sie kaum.
"Wer kann so etwas nur getan haben?...."
"Das ist das Spiel der Häuser."
"Aber wer gab den Auftrag?"
Sie schloss die Augen, versuchte ihre Kräfte zu fokussieren, suchte das tödliche Gift Kraft ihrer Magie zu analysieren und unschädlich zu machen.
"Gyrnyffain (1)," murmelte sie, "helft Eurer Dienerin, das Leben dieses Mannes zu retten."
Magische Formeln sprechend, Zauber webend und Stoßgebete an die Götter sendend, erkannte sie nicht, dass es plötzlich sehr still um sie herum geworden war.
Erst als sie der schweren Stiefel vor ihr gewahr wurde, hielt sie inne. Langsam blickte sie an einem groß gewachsenen Mann hoch, angetan in einem nacht-schwarzen Umhang, das Gesicht von einem schwarzen Schleier bedeckt.
"UND WAS GLAUBT IHR HIER ZU TUN?" fragte dieser in einer unwirklichen Stimme.
"Stört nicht " erwiderte sie barsch. "Ich versuche ihn zu heilen."
Die Gestalt umkreiste sie und den Sterbenden. "SO,… ZU HEILEN? UND WAS GIBT DIR DAS RECHT DAZU, SOLCHES ZU TUN?"
Aufbrausend richtete sie sich auf.
"Wer seid Ihr, dass Ihr solche Reden schwingt?" herrschte sie den Mann an.
Im selben Moment bereute sie es schon, denn nun sah sie, dass die umstehenden Tuach na Moch ehrfurchtsvoll auf die Knie gefallen waren.
"ALS ICH DAS LETZTE MAL HIER ZUGEGEN WAR, DA NANNTE MAN MICH MOCH UND BRACHTE MIR RESPEKT ENTGEGEN, KLEINE FRAU."
Zwar widerstrebte es ihr, das Knie zu beugen, aber irgendetwas, wohl seine göttliche Gegenwart, zwang sie dazu.
"Verzeiht, aber dieser Mocha gab sein Leben für mich…"
"SEID VERSICHERT, CHAT BIDU, ER TAT ES NICHT, WEIL ER ES WOLLTE. NUR SEIN SCHICKSAL WAR ES, DASS ER DEN PFEIL STATT DEINER NAHM…."
"Aber er ist noch so jung…." erwiderte sie.
"600 JAHRE SIND WOHL ALT GENUG!!"
"Aber ….aber…" Sie hasste sich dafür, dass sie ins Stammeln geriet und mit den Tränen kämpfen musste. Tränen der Trauer? Tränen der Wut? "Er hat das Leben verdient, er starb an meiner Statt.."
"WER BIST DU, DASS DU ES WAGST, MEINEM WILLEN ZU TROTZEN?"
Stolz richtete sie sich auf. Wohl wissend, dass sie mit ihrem Leben spielte.
"Ich bin Chat Bidu, nur Chat Bidu. Und ich will nicht trotzen, nur bitten. Um das Leben eines Mochas. Ich weiß, Moch, Ihr habt die Macht. Wenn es jemand kann, dann Ihr. So bitte ich Euch, lasst es geschehen, - wenn Ihr es wollt."
"SO BEDEUTET DIR DAS LEBEN EINES MOCHA SO VIEL?"
"Es bedeutet mir sehr viel, oh Moch!"
"WENN DEM SO IST, SO WILL ICH ES EUCH SCHENKEN, CHAT BIDU. DAS LEBEN EINES TUACH NA MOCH….."
Mit einer fließenden Bewegung nahm der Herr des Todes seinen Mantel von den Schultern und ließ ihn über sie fallen, und es war, als habe man einer Marionette die Fäden zerschnitten, so fiel die schlanke Gestalt der Druidin in sich zusammen.
Dann verschwand er… irgendwohin….

Einige qualvolle Augenblicke vergingen, in denen sich unter dem schwarzen Umhang nichts regte. Waren da nun zwei Leichen, oder aber ein Wunder?
Doch dann bewegte sich etwas unter dem Mantel. Chat Bidu schlug nach Atem ringend den schweren Stoff zurück und beugte sich im selben Augenblick über die leblose Gestalt des Mocha. Sie fühlte keinen Atem, keinen Puls.
Zornig riss sie die kleine, leblose Gestalt an ihre Brust und rief: "Betrogen!!!! Moch hat mich betrogen! Er ist tot!!"
Eine in der Uniform der Fianna gewandete Gestalt bahnte sich ihren Weg durch die Menge. Es war Brianna, welche endlich Chat Bidu in der Menge wieder gefunden hatte.
Zuerst wollte sie tröstend den Kopf der Druidin an ihren Busen drücken, aber dann prallte sie schockiert zurück.
Denn unter dem silberblonden Haar Chat Bidus stachen deutlich zwei spitze Ohren hervor.
"Aber ehrenwerte Druidin …… Eure Ohren… was ist geschehen?"
Verwundert, die unabwendbare Wahrheit ahnend, aber fürchtend, tastete Chat an die Seiten ihres Kopfes. Und sie fühlte die Spitzen, fühlte die Unsterblichkeit, fühlte die Macht der Tuach na Moch….
"Betrogen!!!" schrie sie erneut, "er hat mich betrogen!!!"
Und sie rannte fort von diesem Markt…

Und so schenkte Moch, Chat Bidu, der Druidin aus dem Reiche Tir Thuathas, das Leben eines Tuach na Moch.

 

1 Gyrnyffain: Göttin der Heilkunst in Tir Thuatha

 

Für das Leben eines Tuach na Moch
Arkan e´dhelcú
Eberhard Schramm

 

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Stand:30.09.2010