Hereingelegt!

 

Als Statthalterin der Stadt Cor Finias stand Fiacha natürlich auch ein Palast zur Verfügung. Er war bei weitem nicht so groß und prunkvoll wie der Kristallpalast, und er war auch nicht aus Kristall, sondern aus einem schneeweißen Gestein, aber für Fiacha war er das Schönste, das sie jemals gesehen hatte.
Außer einer Reinigung und einigen anderen Kleinigkeiten, nahm sie keine großartigen Veränderungen im Palast selbst vor. Sie ließ die Gärten neu begrünen und freute sich über diesen Ort der Ruhe, wo sie sich entspannen und sammeln konnte.
Auch an der Verwaltung der Stadt nahm sie keine Veränderungen vor. Cor Finias hatte bisher sehr gute Stadtverwalter gehabt, und dabei wollte sie es auch belassen. Warum etwas ändern, was sich schon so lange bewährt hatte? sagte sie sich.
Etwas ungewohnt war aber die Tatsache, daß sie jetzt selbst einen Schreiber und Buchhalter hatte, und zunächst wußte sie nicht, was sie mit ihm anfangen sollte. Mywwyd war, so wie fast alle Schreiber, die sie bisher kannte, (und das waren noch nicht viele) schon sehr alt, - aber er hatte viel Freude an seiner Arbeit. Und als er feststellte, daß Fiacha nicht ganz ungebildet war und sogar schreiben und lesen konnte, überschlug er sich fast vor Begeisterung. Denn es gab ihm nunmehr ein Gefühl der Herausforderung, Briefe und andere Papiere zu schreiben, die auch gelesen und verstanden wurden. Anfangs fiel es Fiacha schwer, ihre Briefe nicht selbst zu verfassen, und Mywwyd schrieb sämtliche Briefe um, bevor er sie ihr zum unterzeichnen wieder vorlegte. Aber irgendwann gewöhnte Fiacha sich auch daran, Briefe zu diktieren, anstatt selbst zu schreiben. Dafür sorgte unter anderem auch Arkan, der ein regelmäßiger Gast in ihrem kleinen Palast war.
"Überlaß' Mywwyd das Schreiben," riet er ihr. "Dann hast du viel mehr Zeit für Dinge, die wirklich Spaß machen. Und er ist glücklich, weil er was zu tun hat."
Fiacha lud als erstes ihre Familie ein, zu ihr in den Palast zu ziehen. Aber nach einem kurzen Besuch in Cor Finias, meinte ihr Vater, ihm läge das Stadtleben nicht, und die Familie verabschiedete sich wieder, um in ihr kleines Dorf zurückzukehren.
Und eigentlich war Fiacha auch gar nicht traurig deswegen.
Nach einigen Monaten bekam Fiacha eine Einladung in den Kristallpalast.

Als Fiacha den Palast betrat, bemerkte sie sofort das veränderte Verhalten der Wachen ihr gegenüber. Man verbeugte sich vor ihr, sprach sie höflich an und behandelte sie mit Respekt. Fiacha nahm sich vor, sich die Namen dieser Menschen zu merken, um sie beim nächsten Mal auch mit diesen ansprechen zu können.
Und sie überlegte, ob sie sich nicht auch eine kleine Anzahl an Leibwächtern zulegen sollte. Zwar glaubte sie nicht, daß sie diese benötigte, aber es gab einem doch ein Gefühl der Autorität. Und als Statthalterin wollte sie auch das lernen.
Feach und seine Frau begrüßten sie herzlich, und es dauerte auch nicht lange, da gesellten sich Arkan und Jethro Cunack zu ihnen. Sie speisten gemeinsam, plauderten und tranken. Als Fiacha sich nach dem Grund der Einladung erkundigte, antwortete Feach nur: "Wir feiern morgen ein Fest!"
Fiacha lachte. "Was auch sonst?!?"
Und Feach lächelte sie geheimnisvoll an.

Fiacha mußte zugeben, daß Feach und Falena sich als Gastgeber diesmal selbst übertroffen hatten, als sie den Festsaal am nächsten Abend betrat. Aus allen Richtungen erklang die lieblichste Musik, die sie je gehört hatte, und Fiacha meinte, aus dieser Musik einige Mondvogelgesänge heraushören zu können.
Der Saal war grün geschmückt, und ihr fielen die vielen Blumenkübel und Sträucher auf, die man hatte hier aufstellen lassen.
Falena lud Fiacha ein, sich zu ihrer Linken zu setzen, und sie nahm dankbar an. Feach hatte sich für diesen Abend besonders herausgeputzt, und - so bemerkte Falena flüsternd - sogar den Bart und die Haare frisiert.
Arkan betrat wie immer fröhlich plaudernd den Saal, begrüßte zunächst seinen Sohn und seine Schwiegertochter, bevor er Fiacha umarmte und küßte. Feach bat ihn, sich zu seiner rechten zu setzen, und nach einigem Zögern folgte Arkan seiner Einladung.
"Ich wollte eigentlich viel lieber bei den Damen sitzen," maulte er, aber Feach lächelte ihn nur an und sagte: "Mach deinem Sohn doch diese Freude."
Da konnte selbst Arkan nicht nein sagen.
Schließlich trat auch Jethro Cunack in den Saal. Er hatte sich heute in ganz besonders feine Gewandung gekleidet und machte dabei eine gute Figur. Er begrüßte Fiacha herzlich und umarmte sie sogar. Das hatte er zuvor noch nie gemacht….
Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, und ihr schien es, als sei Jethro eigenartig nervös.
Nachdem er sich zu Arkan gesetzt hatte, schaute Fiacha sich um. Auch Feach und Falena schienen nervös, so fand sie. Der einzige, der keinerlei Nervosität zeigte, war Arkan. Dieser umarmte seinen Halbbruder zur Begrüßung, schob ihm einen Becher Bier hin und begann sofort mit ihm ein Gespräch.
Als sich der Saal gefüllt hatte, sprach Feach McLlyr einige Begrüßungsworte, kündete eine Überraschung für den späten Abend an und wünschte allen viel Spaß.
Fiacha wurde das Gefühl nicht los, daß irgendwas im Busch war….

Und die Gäste hatten ihren Spaß. Bier, Wein, Liköre und andere exotische Getränke, die Fiacha nicht kannte, flossen in Strömen. Es wurden ebenso zahlreiche und exotischen Speisen aufgetischt. Der Saal war erfüllt mit Musik und Gelächter, und Fiacha wollte sich gerade beim dritten Bier entspannen, als sie bemerkte, daß sich der Hügelprinz, ganz entgegen seiner Gewohnheit, mit dem Trinken zurückhielt. Als Fiacha Falena darauf ansprach, legte diese nur einen Finger auf den Mund und machte: "Pssst! Geheim!"
Noch nie zuvor hatte Fiacha so viele Barden und Geschichtenerzähler an einem Ort gesehen wie jetzt. Sie standen zunächst beieinander und unterhielten sich, bis der Hügelprinz sich von seinem Thron erhob und verkündete, man möge mit den Gesängen und Geschichten beginnen. Offensichtlich gab es eine festgelegte Reihenfolge, in der die Barden und Erzähler auftraten, und offensichtlich durfte auch kein Stück eine gewisse Zeit überschreiten, denn sonst hätte man die ganze Nacht gebraucht, um sich alle anhören zu können. So brauchten sie nur etwa die halbe Nacht.
Kam es Fiacha nur so vor, oder handelten sämtliche Lieder und Erzählungen heute Abend von Liebe? Was ging hier nur vor?
Es war weit nach Mitternacht, und kaum ein Gast war noch nüchtern, als Feach McLlyr sich von seinem Platz erhob, - erstaunlich aufrecht und ganz ohne Schwanken - und um Gehör bat.
"Der Prinz hält eine Rede," hörte man die Menge raunen.
"Psst, er will was sagen."
"Nun hör doch auch zu. Der Prinz sagt was."
"Der Prinz sagt was? Was will er denn?"
Wie immer dauerte es einige Zeit, bis die Gäste seiner gewahr wurden und endlich verstummten.
"Liebe Freunde und Gäste, darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten?" rief Feach so laut er konnte. Er räusperte sich kurz und fuhr schließlich fort:
"Heute feiern wir einen ganz besonderen Tag, und es ist mir eine ganz große Freude, daß ihr alle meiner Einladung gefolgt seid. Insbesonders begrüße ich zu diesem Fest die Gäste aus der Oberwelt," und er begann Leute mit Namen vorzustellen. Fiacha kannte einige der Namen vom Hörensagen her, aber einer war neu: Chat Bidu, eine Druidin aus der Oberwelt! Wer war sie? Und was machte eine Druidin aus der Oberwelt im Hügelreich? Sie betrachtete die schöne, in bunter Gewandung gekleidete Frau neugierig. Fiacha schien, als fühlte die Druidin sich nicht ganz wohl in dieser Gesellschaft, aber sie hielt tapfer aus. Ihr Lächeln war geheimnisvoll, aber nicht unfreundlich, und sie strahlte eine Würde aus, die man im Hügelreich nicht oft sah. Fiacha nahm sich vor, diese Frau bei Gelegenheit einmal näher kennenzulernen.
"Ich rufe nunmehr Fiacha zu mir…"
Fiacha schaute sich verwirrt um.
Der Hügelprinz sah sie freundlich an und wies mit einer Hand auf seine linke Seite. Falena schubste Fiacha kurz an.
"Nun geh schon!" flüsterte sie ihr zu.
Fiacha stand auf und begab sich an Feachs linke Seite.
"Und nun rufe ich meinen Vater, Arkan E'dhelcu, zu mir."
Arkan, offensichtlich ebenso verwirrt wie Fiacha es gewesen war, stand leicht schwankend, von seinem Bruder gestützt auf, um sich neben seinen Sohn zu stellen.
"Was ist denn?" fragte er leise seinen Sohn.
"Laß dich überraschen," raunte dieser nur.
Laut sagte er: "In meiner Eigenschaft als Hügelprinz bin ich authorisiert, das nunmehr folgende Ritual zu vollziehen. Und ich möchte hiermit zum Ausdruck bringen, daß es mir persönlich eine große Freude ist, dies tun zu können."
Feach schaute nun Fiacha und Arkan abwechselnd an.
"Fiacha, - Vater!" Er machte eine kurze Pause. "Als Hügelprinz frage ich Euch nun: Möchtest du, Fiacha, meinen Vater Arkan E'dhelcu zu deinem angetrauten Ehemann nehmen?"
Fiachas Gedanken überschlugen sich. Feach McLlyr meinte es ernst. Er wollte sie tatsächlich mit Arkan verheiraten. Es war nicht nur ein Scherz gewesen. Er wollte seinen Vater - wie hatte er es so schön ausgedrückt gehabt? - "unter die Haube bringen".
Sie sah das amüsierte Funkeln in Feachs Augen, - er freute sich diebisch darüber, Arkan eins auswischen zu können.
Fiacha atmete tief durch, sah Arkan, der offensichtlich verwirrt neben ihr stand, an, schaute den Hügelprinzen wieder an und dachte: 'Na, warte, mein Lieber!'
Laut sagte sie: "Ja, das will ich!"
Feachs Augen strahlten.
"Und nun frage ich dich, Arkan: Möchtest du die hier anwesende Fiacha zu deiner angetrauten Ehefrau nehmen?"
Arkan schaute sich verwirrt um.
"Was soll das? Was ist los? Wieso Ehefrau?"
Jethro Cunack erhob sich von seinem Stuhl und stellte sich neben seinen Bruder.
Daraufhin hörte Fiacha zu ihrem großen Erstaunen Arkan laut und deutlich sagen: "ICH WILL!"
Feach McLlyr grinste.
"Hiermit erkläre ich euch nunmehr zu Mann und Frau!"
Er schlug seinem Vater auf die Schultern und fügte hinzu: "Herzlichen Glückwunsch, Vater!"
Die Menge im Saal begann zu toben und zu jubeln. Fiacha und Arkan wurden von allen Seiten gedrückt und umarmt und beglückwünscht.
Arkan, immer noch verwirrt, murmelte dauernd: "Das hab' ich nicht gesagt. Ich war das gar nicht. Ich bin hereingelegt worden."
Aber natürlich nahm ihn niemand ernst. Man schlug Arkan lachend auf die Schulter und sagte: "Ich hab's aber laut und deutlich gehört, du alter Schwerenöter!"
Schließlich umarmte sich auch das Brautpaar.
"Aber ich war das nicht, der das gesagt hat," brummelte Arkan weiterhin.
Fiacha schaute ihm in die Augen.
"Und?" fragte sie lächelnd. "Ist es denn so schlimm, mit mir verheiratet zu sein?" Und etwas leiser flüsterte sie ihm ins Ohr: "Jetzt ist Feach mein Stiefsohn. Weißt du, was das bedeutet?"
Daraufhin erhellte sich Arkans Miene, und er hatte wieder das gewohnte breite Grinsen auf den Lippen.
"Jawoll," flüsterte Arkan zurück, und umarmte Fiacha sichtlich zufrieden.

Denn außer der Druidin Chat Bidu und Fiacha hatte niemand die Handbewegungen Jethro Cunacks bemerkt, als er während der Zeremonie neben Arkan gestanden hatte. Und nur sie und der Hügelprinz wußten, daß nicht Arkan, sondern Jethro geantwortet hatte.

 

ENDE

 

Hereingelegt!
Fiacha
Carolin Gröhl

 

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Stand:30.09.2010