Fiacha-Story, Teil 4

 

Samhain

 

Sie hatte ihren Entschluß gefaßt. Schweren Herzens und traurig packte sie die wenigen Sachen, die sie bei ihrer Ankunft im Kristallpalast dabei gehabt hatte, in ihren Rucksack.
Ihre Anwesenheit hier im Palast Cor Dhais war von einigen Tuach na Moch wohl nicht gerne gesehen, und bevor man die Möglichkeit hatte, Arkan zu diskreditieren, wollte sie lieber gehen. Traurig stieß sie einen lauten Seufzer aus. Da hörte sie plötzlich ein leises Räuspern an der Türe, und Fiacha drehte sich erschrocken um.
An der Türe stand Clarisse, das Wechselbalg-Mädchen, das in der letzten Zeit die Aufgaben einer Zofe übernommen hatte.
"Was macht Ihr da, werte Dame?" fragte sie, die Augen weit aufgerissen.
Fiacha wandte sich wieder ihrem Tun zu.
"Ich gehe, Clarisse!" antwortete sie knapp.
Clarisse eilte zu ihr ans Bett.
"Aber warum? Was ist passiert? Gefällt es Euch nicht mehr hier? Oh, bitte, warum geht Ihr denn? Habt Ihr Euch gestritten? Vielleicht mit dem Prinzen?" Ihre Fragen sprudelten nur so aus ihr hervor.
Fiacha richtete sich wieder auf und sah das Mädchen an.
"Nein, Clarisse, ich habe mich mit niemandem gestritten." Sie bemühte sich zu lächeln. "Ich denke nur, daß ich lange genug die Gastfreundschaft des Prinzen in Anspruch genommen habe, und daß es einfach Zeit ist zu gehen."
Clarisse schüttelte verständnislos den Kopf. "Aber warum denn? Der Prinz freut sich über Eure Anwesenheit hier im Palast. Seit die Dame Gloriél gegangen ist, habe ich ihn nicht mehr so ausgelassen und...und...entspannt gesehen." Sie verstummte, als sie Fiachas fragenden Blick sah.
"Gloriél? Wer ist das?"
Clarisse fuhr sich mit der Hand vor den Mund.
"Oh oh..." meinte sie nur.
"Clarisse, was ist? Wer ist Gloriél? Und was heißt 'oh oh'?"
"Nun ja," begann das Mädchen zögerlich, "mir scheint, der Prinz hat Euch nicht davon erzählt? Dann sollte ich es vielleicht..."
"Nun sprich doch," beharrte Fiacha.
"Ich weißt nicht," wollte sie ausweichen, doch Fiachas Augen fixierten ihre solange, bis sie nachgab. Sie spürte das Unbehagen des Wechselbalg-Mädchen, - und sie wollte wissen, warum Clarisse sich unbehaglich fühlte.
Doch das Mädchen brauchte es ihr nicht zu erzählen, denn Fiacha sah es vor sich: Arkan und eine wunderschöne, schlanke Frau, die keine Tuach na Moch war; der Hügelprinz hielt ihre Hände und in seinen Augen erkannte sie eine außergewöhnliche Wärme und ... Liebe. Und dann sah sie Trauer in Arkans Augen...
Fiacha wandte sich ab.
"Nein, Clarisse," sagte sie, und ihre Stimme klang rauher als sonst, "nein, das ist nicht der Grund, warum ich gehe. Wer immer diese Glorièl auch war, sie ist Vergangenheit und kehrt wohl nie mehr zurück."
Clarisse senkte den Kopf. "Das ist wahr, werte Dame, sie ist nicht mehr und wird nie wieder sein. Aber warum," sie ging um das Bett herum, "warum geht Ihr dann?"
Fiacha unterbrach ihr Tun und setzte sich auf das Bett.
"Es gibt Gerüchte, Clarisse. Böse Zungen behaupten, ich wolle Arkans Gunst erschleichen, ich wolle ihm den Kopf verdrehen, um an seiner Seite Herrscherin des Hügelvolkes zu werden." Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, denn erst als sie die Worte aussprach, erkannte sie die Tragweite der Gerüchte.
Clarisse setzte sich neben sie.
"Aber das ist doch Unsinn," versuchte sie zu trösten. "Niemals glaube ich, daß dies Euer Ansinnen war, als Ihr hierher kamt. Sein Bruder Jethro hat Euch doch hierher gebracht...."
"Ich weiß, ich weiß," erwiderte Fiacha, "Aber das weißt du. Die anderen denken anders darüber..."
Clarisse nahm eine Hand der jungen Hügelfrau in die ihre. "Was kümmern Euch die anderen?"
Fiacha lachte kurz auf. "Mich kümmern sie wenig. Aber der Prinz, ihn dürfte es eine Menge kümmern. Es ist sein Ruf, dem geschadet werden könnte..."
"Unsinn," rief Clarisse aus. "Sein Ruf ist unantastbar. Außerdem kümmert es auch den Prinzen wenig, was man über ihn sagt. Das Volk achtet und ehrt ihn auf seine Weise. Gerüchte haben ihm noch nie geschadet." Sie lächelte amüsiert. "Und man erzählt sich die wildesten Geschichten über ihn, das könnt Ihr mir glauben."
Fiacha schaute sie von der Seite an und konnte sich nun auch ein Lächeln nicht verkneifen. Seufzend stand sie wieder vom Bett auf.
"Nichtsdestotrotz denke ich, daß es besser wäre, wenn ich mich für eine Weile vom Palast entferne. Ich verstehe nicht viel von Politik, aber ich weiß dennoch, daß solche Gerüchte, aus Neid geboren, nicht unbedingt dem Prinzen schaden, - aber unserer Freundschaft zueinander sicherlich nicht zuträglich wären. Ich möchte nicht, daß irgendetwas unsere Freundschaft beeinträchtigt." Sie schaute Clarisse kurz an. "Und wenn ich mich für eine Weile nicht im Palast blicken lasse, dann werden auch diese bösen Zungen vielleicht irgendwann schweigen. Kannst du das denn nicht verstehen? Ich möchte nicht, daß Arkan irgendwann das gleiche denkt, wie diese Leute."
Entrüstet stand nun auch Clarisse auf. "Das glaube ich nicht, daß der Prinz das jemals täte!"
Fiacha lächelte. "Unterschätze nie die Macht der bösen Zungen, Clarisse! Und nun geh, bitte. Und sage niemandem etwas von meinem Vorhaben, ja?"
Sie konnte sehen, wie Clarisse sich wand.
"Clarisse, versprich es mir, bitte. Erzähle niemandem von meinem Vorhaben!"
Leise antwortete Clarisse: "Wenn es denn Euer Wunsch ist..."
"Ja," sagte Fiacha, "das ist es!"

Leise ging sie durch die Gänge des Kristallpalastes. Nicht, daß sie unbedingt schlich, - aber sie versuchte jegliche Geräusche zu vermeiden. Sie wollte nach Möglichkeit niemandem begegnen, um eine Erklärung abgeben zu müssen, warum sie plötzlich ihre alte Gewandung und einen Rucksack trug.
Beinahe glaubte sie schon, den Palast unbemerkt verlassen zu können (um der Wachen machte sie sich keine Sorgen, die ließen zwar nicht jeden hinein, aber doch jeden hinaus!), als plötzlich eine dunkle Gestalt vor ihr auftauchte. Sie erschrak zutiefst.
"Und wohin, werte Dame, gedenkt Ihr zu gehen?" sagte die Gestalt und Fiacha atmete erleichtert auf. Es war Feach MacLlyr, der Leibwächter und, wie sie es nannte, "ständige Schatten" Arkans. Wenn einer bestimmt froh war, daß sie ging, dann war es dieser immerzu düster und ernst dreinblickende Mann. Sie kannte Feach nicht sehr gut, denn er hatte sich noch nie mit ihr unterhalten. Sie hatte zwar nie wirklich das Gefühl gehabt, daß sie ihm unsympathisch war, aber er mißtraute Fiacha im höchsten Maße. (Eigentlich schien er jedem zu mißtrauen, der sich in Arkans Nähe befand...)
"Ich verlasse den Palast!" antwortete Fiacha.
"Und darf ich fragen, warum?" fragte Feach weiter.
Fiacha warf den Kopf in den Nacken, um ihm direkt in die Augen zu blicken.
"Das, mein Lieber, geht Euch gar nichts an. Und nun laßt mich bitte vorbei!"
Für einen Moment schien Feach McLlyr zu zögern, doch zu Fiachas Erstaunen machte er ihr Platz.
Triumphierend stolzierte sie an ihm vorbei in Richtung Tor.
"Weiß der Prinz von Eurer Abreise?" fragte Feach hinterher.
Fiacha wandte sich kurz um.
"Er wird es wohl früh genug merken, denke ich," antwortete Fiacha und trat durch das Tor.
Mit hochgezogenen Augenbrauen und einem brummenden "Weiber!" blickte Feach ihr nach, bevor er sich umwandte, um Arkan von ihrem Weggang zu berichten.

Die Vorbereitungen für das Samhain-Fest waren voll im Gange, und die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein. Fiacha schaute sich erstaunt um, als sie die Gassen Cor Dhais entlang schlenderte. Sie hatte es ganz vergessen! Heute war Samhain! Im Kristallpalast hatte man davon gar nichts bemerkt. Allerdings, so wußte Fiacha inzwischen, waren die Bediensteten im Palast immer darauf bedacht, nicht zuviel Unruhe vor den Festen zu verbreiten, um den Prinzen und seine Gäste nicht zu stören.
Fiacha konnte förmlich die Aufregung der Stadtbewohner spüren. Samhain war das wichtigste Fest der Tuach na Moch, es war das Fest zu Ehren Mochs, dem Herrscher des Totenreiches. In dieser Nacht wurde mit den Toten gefeiert und die Tore zur sogenannten Oberwelt waren geöffnet.
Überall duftete es nach Gebackenem und Gebratenem, gemischt mit dem süßlichen Geruch von honighaltigen Getränken. Cor Dhai war geschmückt mit bunten Kristallgirlanden und Blumen. Gaukler, Schausteller und andere Künstler gaben auf den Straßen Vorstellungen, umringt von kleinen Kindern, deren von Honig- und Schokoladenkuchen verschmierten Münder vor Staunen und Entzücken offen standen. Männer und Frauen waren in ihren festlichsten Gewandungen gekleidet, und hier und dort wurde sogar schon gesungen und getanzt.
Fiacha überquerte den Markt, wo Händler ihre Waren feilboten, und ihr wurde mit einem Mal bewußt, daß sie gar kein Geld bei sich hatte.
'Na, macht ja nichts,' dachte sie bei sich. Sie hatte sowieso nicht vor, Samhain in der Stadt zu feiern. Im Dorf, wo sie groß geworden war, wurde Samhain anders gefeiert als in den Städten. Zuhause nahm man kurz vor Sonnenuntergang ein üppiges Mahl zu sich, dann sammelten sich die Dorfbewohner auf dem Dorfplatz. Jeder trug eine Fackel bei sich, und die Leute zogen, angeführt vom Dorfältesten, singend zum großen Felsen außerhalb des Dorfes. Dieser Fels stand auf einem Hügel, den die Dorfbewohner vor langer, langer Zeit einmal dort aufgeschüttet hatten. Es hatte in dieser Gegend keine natürlichen Hügel gegeben, und so hatte man sich anders behelfen müssen. Der Felsen, so erzählte die Dorflegende, war plötzlich aus heiterem Himmel heruntergefallen, genau auf den Hügel, und hatte dabei den damaligen Dorfältesten unter sich begraben. Die Dorfbewohner hatten dies als ein Zeichen Mochs gedeutet, und seitdem war dieser Ort noch geeigneter, das Samhainfest genau hier zu feiern. (Daß der Felsen vor langer Zeit aus einem der fliegenden Schiffe gefallen sein könnte, war damals keinem eingefallen. Doch Fiacha war sich inzwischen nicht ganz sicher, ob dies nicht der wahre Ursprung des, wie er nun genannt wurde, "blutigen Felsens" war.)
Beim Felsen angekommen, kletterte der Dorfälteste, in Begleitung und mit Hilfe zweier Männer, auf den Felsen, um dort uralte Rituale zu vollziehen. Unter unverständlichem Gemurmel und Gesang, opferte er Moch ein Tier (je nachdem, was derzeit zur Verfügung stand, war es entweder ein Ochse oder ein Hirsch), dessen Blut in einem kristallenen Gefäß aufgefangen wurde. Aus diesem Gefäß, das einem Schädel nicht unähnlich sah, trank jeder erwachsene Dorfbewohner einen Schluck. Fiacha hatte sich immer gefragt, warum sie das taten, aber sie war sich sicher, daß nicht einmal der Dorfälteste mehr wußte, was der Sinn dieses Rituals war.
Sobald der letzte Bewohner einen Schluck genommen hatte, nahm der Dorfälteste das Gefäß wieder an sich und schüttete den restlichen Inhalt auf den Felsen, wobei er anschließend mit den Fingern seltsame Zeichen auf den Felsen zeichnete.
Diese Momente waren immer sehr feierlich gewesen, und Fiacha erinnerte sich an den ersten Hirsch, den sie zu diesem Zweck für das Dorf erlegt hatte. Damals war sie beinahe geplatzt vor Stolz.
Anschließend wurde die Stimmung ausgelassener. Die Fackeln wurden um den Felsen herum in den Boden gesteckt, und die Männer zogen jede Menge Getränke aus ihren Manteltaschen, während die Frauen unter ihren Gewändern Süßigkeiten für die Kinder hervorzauberten. Es wurde nun die ganze Nacht lang gesungen, getanzt und Schabernack getrieben.
Die Erwachsenen erzählten sich Geschichten, in denen ihnen die Geister der Toten erschienen waren, mit denen sie dann tanzten oder sie nach ihrer Zukunft befragten, doch Fiacha hatte noch niemals selbst einen gesehen. Dawydd, ihr Jugendfreund, hatte ihr mal erzählt, daß ihm der Geist eines Kämpfers erschienen war, der Dawydd darum bat, ihm doch den Kopf abzuschlagen. Dawydd, so erzählte er ihr, hatte versucht, dem Toten seinen absonderlichen Wunsch zu erfüllen, doch seine Axt war immer wieder durch die Gestalt hindurch gefahren. Weinend und laut klagend war der Geist schließlich wieder verschwunden mit den Worten: "Na, vielleicht nächstes Jahr!"
Fiacha wußte bis heute nicht, ob Dawydd es jemals geschafft hatte, dem toten Kämpfer aus der Oberwelt den Wunsch zu erfüllen und ihm den Kopf abzuschlagen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob diese Geschichte wahr war.

Indessen berichtete Feach McLlyr dem Hügelprinzen vom Weggang Fiachas.
"Was?" rief Arkan e'dhelcú aus, "Sie ist weg? Einfach so?" Verwirrt schüttelte er den Kopf, während er aufgeregt auf und ab lief. "Aber wieso?"
Feach zuckte mit den Schultern. "Das wollte sie mir nicht sagen, mein Prinz."
Arkan blieb abrupt stehen.
"Findet sie, Feach!" befahl er. "Sucht sie, findet sie und bringt sie zurück. Ich möchte zumindest wissen, warum sie einfach ohne Abschiedsgruß weggeht."
"Soll ich sie festnehmen lassen, mein Prinz?" fragte Feach mit versteinerter Miene.
"Wenn es sein muß, auch das!" polterte der Hügelprinz. Doch dann hielt er inne und schien zu überlegen. "Aber tut ihr nicht weh, Feach!" fügte er hinzu.
Feach McLlyr schnaubte. "Noch nie habe ich jemals einer Frau Gewalt angetan, mein Prinz. Und ich werde nun nicht damit anfangen." Er schien verletzt.
Arkan seufzte. "Tut mir leid, Hauptmann. Das habe ich nicht so gemeint. Es ist nur...Ach, vergeßt es!"
Der Leibwächter Arkans legte den Kopf schief und betrachtete den Hügelprinzen. Er schien sich wirklich Sorgen um die junge Hügelfrau zu machen, überlegte er. Ob er ihm erzählen sollte, daß er ahnte, warum sie gegangen war? Ob er ihm sagen sollte, was man sich im Palast so erzählte?
Feach entschloß sich den Mund zu halten. Es war nicht seine Aufgabe, dem Prinzen von den Gerüchten zu erzählen. Er war schließlich kein Klatschweib.
"Benötigt Ihr noch etwas, mein Prinz?" fragte Feach.
"Nein, geht nur, Hauptmann. Und bringt mir Fiacha."
Als Feach McLlyr gehen wollte, rief Arkan ihm noch hinterher: "Doch, Ihr könnt noch was für mich tun. Laßt mir etwas zu trinken bringen, Feach."
Lächelnd verließ der Hauptmann den Raum.

Bevor Fiacha die Stadt verließ, erkundigte sie sich bei einer Stadtwache nach dem Weg zum nächsten Steinkreis oder Felsen. Dort wollte sie in aller Ruhe das Samhainfest feiern, zum ersten mal ohne ihre Familie und Freunde.
"Na," meinte die Stadtwache grinsend, "Ihr gehört wohl auch zu den Naturalisten, was?" Sein Blick glitt an Fiacha herab. "Eine junge, hübsche Frau wie Ihr sollte Samhain nicht allein feiern, wißt Ihr? Bleibt doch lieber hier in Cor Dhai und habt Spaß." Mit einem Augenzwinkern fuhr er fort: "Wir könnten doch zusammen Samhain feiern."
Fiacha lächelte, als sie erwiderte: "Nein danke, mein Guter. Ich sehe, daß Ihr in festen Händen seid. Und mit Eurem Weib ist sicherlich nicht zu scherzen."
Erstaunt riß die Stadtwache die Augen auf. "Aber woher....?"
"Egal," grinste Fiacha ihn an, "sagt mir lieber, wie ich dort hin komme."
Die Wache beeilte sich, ihr den Weg zum nächsten Steinkreis zu beschreiben.
Fiacha winkte dem Mann, der ihr mit gerunzelter Stirn nachschaute, noch kurz zu und machte sich langsam auf den Weg.

In Gedanken versunken schlenderte Fiacha durch den Wald, der laut der Wache zum Steinkreis führen sollte. Sie hatte es getan! Sie hatte, ganz entgegen ihrer Überzeugung und völlig unbewußt in der Vergangenheit der Stadtwache geschnüffelt. Dort hatte sie die Frau des Mannes gesehen, eine äußerst üppige und stabile Frau, keifend und mit bösem Blick. (Fiacha vermutete, daß der Mann wohl schon des öfteren andere Frauen angesprochen hatte...)
Sie seufzte unglücklich. Wie war es denn möglich, daß sie, ohne in der Nähe eines Cystírs zu sein, diese Fähigkeit, die sie erst vor kurzem entdeckt hatte, beherrschte? Sie hatte Jethro Cunack versichert, und sie war auch davon überzeugt gewesen, daß sie diese Fähigkeit nur in der Nähe der cystírach ausüben konnte. Sie hatte seit ihrem Besuch im Cystírraum versucht, diese Fähigkeit zu unterdrücken. Sie wollte nicht in der Vergangenheit anderer Leute herumschnüffeln; sie wollte ihre Erlebnisse und Gefühle nicht wissen...Aber offensichtlich waren die Gefühle mancher Leute so stark, daß sie es nicht verhindern konnte.
Mit einem Seufzer kletterte Fiacha über einen kleinen Hügel, hinter dem der Steinkreis liegen sollte. Und tatsächlich, dort stand er einsam und verlassen da. Fiacha runzelte die Stirn. Niemand in Cor Dhai schien sich noch für den Steinkreis zu interessieren, niemand feierte Samhain so, wie es seit Urzeiten zumindest in ihrem Dorf üblich gewesen war.
Als Fiacha sich den Steinen näherte spürte sie die Energie, die aus dem Inneren des Kreises zu kommen schien. Es war nicht mehr allzu lange bis zum Sonnenuntergang, und die junge Hügelfrau beschloß außerhalb des Steinkreises zu warten.
Erst jetzt bemerkte sie, wie sehr sie die Natur vermißt hatte. Die Vögel sammelten sich zur Nacht, um sich auf den hohen Bäumen niederzulassen. Ein leiser Wind rauschte im Blätterwerk der Bäume begleitet vom Plätschern eines kleinen Baches irgendwo in der Nähe. Das war die Musik, die Fiacha schon immer am meisten geliebt hatte, und mit geschlossenen Augen lauschte sie ihr aufmerksam.

Feach, froh darüber endlich mal wieder eine richtige Aufgabe für seine Männer zu haben, gab ihnen eine kurze Beschreibung von der jungen Hügelfrau und befahl ihnen, nach Fiacha zu suchen.
Zunächst überlegte er, ob er im Palast bleiben sollte, um darauf zu warten, daß ihm die Wachen Bericht erstatteten, doch er entschied dagegen. Er wollte sich selbst auf die Suche machen. Warum auch immer, dem Prinzen lag viel an dieser Frau, und er hielt es für seine Pflicht, sich persönlich darum zu kümmern. (Außerdem langweilte er sich sowieso mal wieder...)
Auf seinem Weg nach draußen begegnete ihm überraschend der Halbbruder des Hügelprinzen, Jethro Cunack. Er salutierte brav vor dem Oberweltler und wollte sich an ihm vorbei zwängen, doch Jethro hielt den Hauptmann fest.
"Wozu diese Eile, Feach McLlyr?" fragte Jethro.
"Fiacha ist verschwunden, Herr, und ich bin auf dem Wege, sie zu suchen."
Jethro runzelte die Stirn.
"Verschwunden? Fiacha? Wie konnte das passieren?"
"Nun," berichtete Feach ungeduldig. "Sie spazierte einfach so aus dem Palast, ohne sich beim Prinzen zu verabschieden. Sie sagte, es ginge mich nichts an, wieso sie ginge, also..."
"Moment, Hauptmann," unterbrach Jethro ihn. "Sie ist also freiwillig gegangen?"
Feach nickte. "Ja, Herr!"
Jethro schmunzelte.
"Na, dann ist ja gut! Ich dachte schon, es sei ihr was passiert. Wahrscheinlich hat sie sich mit Arkan gestritten oder so. Du weißt ja, wie Frauen so sind." Er zwinkerte dem Hauptmann zu. "Sie wird schon wieder auftauchen."
"Nichtsdestotrotz," erwiderte Feach, "ich habe den Auftrag, sie zurückzubringen, und wenn es sein muß in Ketten."
Zunächst stutzte Jethro, doch dann brach er in schallendes Gelächter aus.
"Na, es muß meinen Bruder ja mächtig erwischt haben, wenn er solch drastische Maßnahmen anordnet. Dann geht nur, Hauptmann, und tut Eure Pflicht."
Lachend ging Jethro Cunack weiter.
Feach McLlyr schaute dem estron zunächst verwirrt nach, doch dann mußte auch er lächeln. Jethro hatte wohl recht: Es mußte den Hügelprinzen mächtig erwischt haben.

Arkan begrüßte seinen Bruder stürmisch.
"Jethro, gut daß du da bist. Hast du schon gehört? Fiacha ist weg." Er fuhr sich mit den Händen durch sein schütteres Haar.
"Nun beruhige dich erst einmal, Brüderchen," antwortete Jethro schmunzelnd. "Hier," er nahm den gefüllten Kelch, der auf dem Tisch stand, und reichte ihn dem Prinzen. "trink was! Das beruhigt die Nerven."
Ohne zu zögern nahm Arkan den Kelch entgegen und leerte ihn in einem Zug. Eine Bedienstete war sofort zur Stelle, um den Kelch wieder zu füllen und um einen zweiten Becher für Jethro zu bringen.
Arkan ließ sich in seinen großen, weichen Sessel fallen.
"Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist, Jethro," klagte er. "Sie ist einfach so gegangen."
Jethro ließ sich in den anderen Sessel neben seinem Bruder nieder.
"Ach, Arkan," witzelte er. "Da bist du nun schon sechshundert Jahre alt geworden und weißt immer noch nicht, daß Frauen eigenartige Wesen sind?"
Arkan schüttelte den Kopf.
"Das ist nicht witzig, Jethro," sagte er schmollend. "Fiacha ist nicht wie die anderen Frauen, verstehst du?"
Jethro lehnte sich breit grinsend in den Sessel zurück. Sollte sein Bruder sich wirklich verliebt haben?
Arkan jedoch bemerkte seinen Blick nicht und fuhr fort: "Fiacha ist wie ein Freund für mich. Und wir haben uns prima verstanden. Ich verstehe das nicht."
Der Oberweltler legte den Kopf schief. Hatte er da richtig gehört?
"Ähem, Arkan," begann er, "sagtest du, sie sei wie ein Freund für dich?"
Arkan hob den Kopf und schaute seinen Bruder aus großen Augen an.
"Aber ja doch!"
Jethro runzelte die Stirn.
"Ein Freund? Nicht mehr?" hakte er nach.
Der Hügelprinz schaute Jethro zunächst verwirrt an, dann begann er plötzlich zu lachen.
"Hast du etwa geglaubt, da wäre mehr, Jethro? Hast du geglaubt, da wäre was zwischen ihr und mir?"
Jethro räusperte sich kurz.
"Nun ja, das ist wohl die allgemeine Meinung hier im Hügelreich. Man sagt, du und Fiacha....ihr wäret liiert!"
Einen kurzen Moment herrschte Schweigen zwischen den Brüdern.
Dann begann Arkan zu nicken.
"Jetzt verstehe ich! Man sagt, ich habe ein Verhältnis mit Fiacha, und sie hat davon gehört und...."
"...und man erzählt sich noch ganz andere Dinge, Arkan," unterbrach Jethro ihn.
Der Prinz des Hügelreiches stand von seinem Sessel auf und begann wieder hin und her zu laufen.
"Und was erzählt man sich so? Spuck es aus, Jethro!"
Und Jethro erzählte ihm von den Gerüchten, und daß man glaubte, Fiacha wolle sich zur Herrscherin des Hügelreiches machen.
Arkan tobte zunächst. "Das ist ja unglaublich!" rief er. "Das ist doch völliger Unsinn! Wer behauptet sowas, Jethro? Wer? Sag' es mir!"
Und wieder reichte Jethro dem Prinzen den Kelch.
"So beruhige dich doch, Arkan. Alle behaupten und glauben das."
Arkan blieb stehen und gönnte sich einen Schluck, bevor er Jethro mit seinen blauen Augen fixierte.
"Und du? Glaubst du das auch?"
Jethro schüttelte den Kopf.
"Nein, Arkan, ich glaube das nicht. Fiacha ist ein Dorfkind, eine Jägerin. Sie hat überhaupt keine Ambitionen in dieser Hinsicht. Alles, was sie möchte ist Zugang zur Oberwelt, um einen magischen Bogen zu finden. Aber das weißt du ja..."
Arkan nickte.
"Außerdem," fuhr Jethro fort, "hat sie im Moment sicherlich andere Probleme. Da ist zum Beispiel ihre magische Fähigkeit, mit der sie noch nicht ganz klar kommt...."
Und er berichtete seinem Bruder von Fiachas Fähigkeit, die Gefühle und Gedanken der Vergangenheit wahrzunehmen.
"Ich habe sie wohl erschreckt, als ich ihr sagte, man könne diese Fähigkeit für, hhhmm, politische Zwecke nutzen," schloß er seinen Bericht. "Sie bat mich, dir nichts davon zu erzählen."
"Meinst du," überlegte Arkan, "das ist der Grund, warum sie den Palast verlassen hat?"
"Nein, das ist nicht der Grund. Die Gerüchte sind der Grund, warum sie es vorzieht wegzugehen, Arkan. Sie war außer sich, als sie davon hörte..."
"Sie weiß davon?" unterbrach Arkan ihn.
"Ja!"
Der Hügelprinz schüttelte sichtlich niedergeschlagen den Kopf und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Kelch.
"Dann verstehe ich, was los ist!" murmelte er.

Im Hintergrund stand Clarisse, die das Gespräch zwischen Arkan und Jethro mitbekommen hatte, - und sie war erleichtert, daß nicht sie es war, die ihr Versprechen brechen mußte.

Sie wußte nicht, wie lange sie so gestanden hatte, aber schließlich begann sie zu frösteln. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und Fiacha zog ihren Mantel aus dem Rucksack. Langsam und innerlich vollkommen ruhig betrat sie den Steinkreis. Eigentlich hatte sie gar keine Ahnung, was sie nun tun sollte, also begann sie eines der Lieder zu singen, die man in ihrem Dorf gesungen hatte, als sie die Mitte des Steinkreises erreicht hatte. Mit einem Mal fühlte Fiacha sich beschwingt und glücklich. Sie konnte Mochs Nähe spüren, davon war sie überzeugt, und es stimmte sie fröhlich. Ihr Gesang wurde lauter und sie begann zu tanzen. Sie stampfte mit den Füßen auf den Boden, streckte ihre Arme weit aus und drehte sich im Kreis. Ähnlich wie sie es als Kind immer getan hatte, drehte sie sich, bis ihr schwindelig wurde und sie lachend und atemlos umfiel. Als sie ausgestreckt dort auf dem Boden lag, spürte sie plötzlich die Anwesenheit einer anderen Person. Nein, korrigierte sie sich, nicht einer, sondern mehrerer Personen.
Immer noch schwindelig und verwirrt schaute sie sich um. Schemenhaft und beinahe durchsichtig erkannte sie dunkle Gestalten, die im Inneren des Steinkreises standen. Sie trugen dunkle Kutten, und ihre Gesichter waren unter den Kapuzen nicht zu erkennen. Ihre Arme hatten sie ausgestreckt, die Handflächen nach oben gerichtet. Nun hörte sie eine Murmeln und erkannte Stimmen.
Wer waren diese Gestalten? Woher waren sie gekommen?
Sie wollte aufspringen, stellte aber zu ihrem Entsetzen fest, daß sie sich nicht rühren konnte. Sie beobachtete die Gestalten, die sich ihr jetzt näherten. Die Hände waren nun nach vorne ausgestreckt, und es schien, als wollten sie nach Fiacha greifen.
Verzweifelt versuchte Fiacha sich aus der lähmenden Starre zu befreien. Doch es wollte ihr nicht gelingen. Sie war gefangen!
"Nein," hauchte sie, als die Gestalten weiter auf sie zukamen. "Nein, bitte nicht!"
Als sie nach ihr griffen, schrie Fiacha auf. Sie konnte die Hände spüren, die an ihr zerrten.
"Nein," schrie sie, "nein, laßt mich los!" Sie wollte strampeln und sich losreißen, aber die Lähmung wollte nicht weichen.
Tränen schossen ihr in die Augen. 'Moch,' dachte sie, 'das kann doch nicht sein. Was passiert nur mit mir?'
Waren es die Geister der Toten, überlegte sie. Doch sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Geister konnten sie nicht aufheben und festhalten.
Fiacha sog soviel Luft in die Lungen ein, wie sie konnte, und begann aus Leibeskräften zu brüllen:
"Hilfe! Hilfe! Arkaaaan, Jethro, helft mir doch!"

Jethro Cunack hob den Kopf.
"Hast du das gehört, Arkan?" fragte er seinen Bruder. Dieser jedoch schaute ihn nur verständnislos an.
"Was gehört?" fragte er.
Die beiden Brüder waren auf dem Weg zum Festsaal. Heute war Samhain, und trotz Fiachas Verschwinden wollten die beiden sich die Feier nicht entgehen lassen. Jetzt, da Arkan verstand, warum Fiacha ohne Abschied den Palast verlassen hatte, war er beruhigt. Jedoch nicht unbedingt glücklicher. Hätte er gewußt, was die junge Frau so beschäftigt hatte, so hätte er versucht sie zum Bleiben zu überreden. Er hätte ihr versichern können, daß ihm das Gerede der Leute völlig egal war, und er hätte versucht, den Gerüchten entgegen zu arbeiten.
Jethro schüttelte den Kopf.
"Nichts. Ich meinte nur, was gehört zu haben!" Doch innerlich war er nervös geworden. Er war fest davon überzeugt, Fiachas Stimme gehört zu haben.
"Alles in Ordnung mit dir, Brüderchen?" fragte der Prinz.
"Aber sicher," antwortete Jethro. Er wollte Arkan nicht beunruhigen, jetzt, wo dieser sich wieder entspannt hatte.
"Geh du nur vor, Arkan," sagte er lächelnd. "Ich werde gleich nachkommen. Muß nur kurz etwas erledigen."
Mit diesen Worten wandte Jethro sich um und ging.
Verblüfft schaute der Prinz seinem Bruder nach. Kopfschüttelnd ging er zum Festsaal weiter. Er war es inzwischen gewohnt, daß Jethro sich zurückzog und plötzlich wieder auftauchte. Obwohl sie sich gut kannten, so war sein Bruder ihm hier und da doch immer noch ein Rätsel.

Als er alleine war, neigte Jethro den Kopf leicht zur Seite und lauschte. Es war Samhain, und er spürte die geballte Magie, die im gesamten Hügelreich wirkte. Sein Bewußtsein versuchte etwas außergewöhnliches zu erspüren, etwas, das er kannte, - und an das er sich mit Unbehagen erinnerte.
Überwältigt von den magischen Energien dieser Nacht, begann Jethro zu schwitzen. Er hatte es ganz deutlich gespürt. Irgendwo da draußen wurde noch eine andere Magie gewirkt, als die, die im Hügelreich üblich war. Sie war nur schwach, und Jethro hatte Schwierigkeiten, sie zu orten. Die magischen Stränge des Hügelreiches brachten ihn immer wieder von seinem Weg ab.
Da hörte er ihn wieder, den Hilferuf. Und er war sich dieses mal sicher: Es war Fiacha! Fiacha war offensichtlich in Schwierigkeiten.
Vor seinem inneren Auge sah Jethro einen Steinkreis und dunkle Gestalten. In ihrer Mitte hielten sie Fiacha fest.
Dem Magier wurde beinahe übel, denn er erkannte die Magie, mit der Fiacha gefangen war: Es war Dimensionsmagie! Dieselbe Magie, die ihn damals hierher ins Hügelreich gebracht hatte. Und Jethro erkannte auch die dunklen Gestalten, die diese Magie ausübten.
Eilig verließ er den Palast.

Verzweifelt versuchte Fiacha sich zu befreien.
In ihrer Panik nahm sie kurz wahr, daß der Steinkreis seine Form veränderte. Die dunklen Silhouetten hielten sie fester als zuvor, und Fiacha verließen langsam, aber sicher die Kräfte.
Sie hörte auf sich zu wehren.
Der eintönige Gesang und das Gemurmel der düsteren Gestalten drang lauter an ihre Ohren. Fiacha versuchte den Kopf zur Seite zu drehen. Ihr Blick fiel auf die riesigen Steine, die hinter ihnen aufragten, und sie erkannte voller Entsetzen, daß es sich um einen anderen Steinkreis handelte. Dies war nicht der Kreis, den sie ursprünglich betreten hatte...
Als nächstes bemerkte sie den Temperaturunterschied. Es war wesentlich kälter geworden, und Fiacha zitterte nun heftig. Plötzlich wurde es auch heller um sie herum. Sie sah den Mond.
Im Licht des Mondes konnte sie nun auch die Gesichter der dunklen Gestalten um sie herum erkennen.

Jethro ging immer schneller, bis er schließlich rannte. Er wußte, wo sie sich befand, und er hatte nicht viel Zeit, um den Steinkreis noch rechtzeitig zu erreichen.
'Zeit,' lachte er bitter in Gedanken. 'Wenn es nur Zeit wäre...'

Die meisten Gestalten trugen lange Bärte, und sie alle starrten Fiacha mit weit aufgerissenen Augen an.
Fiacha wurde sich des harten Untergrundes, auf dem sie lag, bewußt und versuchte sich aufzurichten. Mit Erleichterung stellte sie fest, daß die Lähmung von ihr gewichen war.
Sie lag auf einem großen flachen Stein, welcher seinerseits auf kleinen Felsen lag.
Ein Altar! 'Bei Moch,' dachte sie erschrocken, 'Ich liege auf einem Altar!'
Die Gestalten wichen nun zurück, die Augen immer noch weit aufgerissen. Einige jedoch schauten Fiacha mit Faszination und Neugierde an.
"Ein Kind," sagte einer.
"Ja, seht nur," flüsterte ein anderer. "Ein Kind!"
"Wo es nur herkommen mag?"
Fiacha räusperte sich vorsichtig, bevor sie zu sprechen begann: "Ich bin kein Kind mehr!"
Wieder gingen die Männer einen Schritt zurück.
"Was hat es gesagt?" fragte einer.
"Ich habe es auch nicht verstanden," meinte ein anderer.
Wiederum ein anderer flüsterte: "Es spricht die alte Sprache!"
Es entstand ein kurzes Schweigen.
Fiacha richtete sich nun ganz auf und wollte vom Altar rutschen, doch die Männer kamen wieder näher. Nur eine bartlose Person stand noch weiter abseits, die Hände vor den Mund haltend und mit weit aufgerissenen Augen starrte sie abwechselnd auf Fiacha und die Gestalten. Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen.
Die Personen um Fiacha herum begannen durcheinander zu reden.
"Ein Kind, das die alte Sprache spricht?"
"Was, bei den Göttern, ist passiert ?"
"Unglaublich!"
"Das hätte nicht geschehen dürfen!"
"Was machen wir jetzt mit dem Kind?"
Fiacha wurde es zu bunt.
Sie stieg vom Altar herunter und sagte mit lauter Stimme: "Ich sagte doch, ich bin kein Kind! Und überhaupt, - wer seid Ihr? Wo bin ich hier?"
Statt einer Antwort, redeten die Männer wieder durcheinander.
"Tatsächlich, es spricht die alte Sprache. Ich höre es ganz deutlich."
"Für ein Kind sieht es aber eigenartig aus."
"Ja, du hast recht, das Gesicht wirkt gar nicht so kindlich."
Fiacha bemerkte, daß sie so die Aufmerksamkeit dieser seltsamen Männer nicht erhalten würde, also stieg sie auf den Altar, stellte sich breitbeinig hin und rief laut: "Würdet Ihr mir bitte einmal zuhören?"
Sie nahm die Kapuze ihres Mantels ab.
"Ich bin, wie Ihr seht, kein Kind! Und jetzt sagt mir bitte, - wo bin ich hier?"

Keuchend erreichte Jethro den Steinkreis, doch zu seinem Entsetzen stellte er fest, daß es zu spät war. Fiacha war nirgends mehr zu sehen.
"Verdammt," brüllte er. "Verdammt, verdammt, verdammt!" Wütend hieb er mit der Faust gegen einen der Steine. "Ich bin zu spät!"

Fiacha sah das blanke Entsetzen in den Augen der dunklen Männer, die wieder einmal vor ihr zurückwichen, und wunderte sich.
"Die Götter mögen uns beistehen," flüsterte einer der Männer, "eine Erscheinung aus dem Totenreich!"
"Ein Tuach na Moch!" flüsterte ein anderer.
"Wir haben einen Tuach na Moch beschworen!"

 

ENDE

 

Fiacha IV: Samhain
Fiacha
Carolin Gröhl

 

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Stand:30.09.2010