Teil 1
In dieser Geschichte wird zum ersten Mal ein „Triach“ (Durchquerer) vorgestellt. Triach begleiten Reisende sicher durch die „Nichtzeit“. Zeitlich ist diese Geschichte weit nach der Geburt Æolas’ einzuordnen.
Die zusammengekauerte Gestalt verschwamm fast völlig mit dem sie umgebenden wabernden Grau, welches, als habe es ein eigenständiges Bewusstsein, sich wie ein Leichentuch über sie legen wollte. Nur die kurzen ruckartigen Bewegungen der Frau, begleitet von Flüchen in der Sprache der estron, schienen diesen Schleier des Todes für eine kurze Weile zurück zu weisen, - bis die grausigen, fingerartigen Fortsätze erneut nach ihr zu greifen versuchten.
Chat Bidu starrte am Fenster ihres Zimmers stehend hinaus auf den Hof des Palastes, auf dem geschäftiges Treiben herrschte. Einige Höflinge vergnügten sich lautstark mit einem Murmelspiel, während Bedienstete hin und her eilten, als hätten sie etwas Wichtiges vergessen. Der Stallmeister bellte einem jungen Mann, der abseits stehend das Spiel beobachtete, einige strenge Worte entgegen, worauf dieser eiligen Schrittes durch ein Tor in die Richtung der Stallungen entschwand.
Die Sonne stand hoch, und die Farbe des Himmels war von einem intensiven Blau, das einen weiteren trockenen Frühlingstag versprach. Das laute Lachen einer Magd, die mit einem Korb voller Früchte den Platz überquerte, erweckte die Aufmerksamkeit der Druidin. Ein Mann, sichtlich bemüht mit der jungen Frau Schritt zu halten, ergriff einige Äpfel aus dem Korb und jonglierte sie singend und rückwärts gehend vor dem Mädchen.
„Ach, dieser Kalodha, er macht sich immer noch zum Narren für dieses Weib. Eine Schande, vielleicht könnt Ihr irgendwann einmal mit einem Liebestrank nachhelfen?“
Die Dienerin, die sich neben Chat Bidu gedrängt hatte, um zu erspähen, was die Druidin so interessiert beobachtete, lächelte ihr verschwörerisch zu. Ein eiskalter, abschätzender Blick jedoch ließ ihr Lächeln förmlich gefrieren. Eilig wandte sie sich dem Bett zu, auf dem das Bündel für die Reise der Druidin lag, und schnürte es schweigend, ohne noch einmal aufzusehen.
Auf Arkans persönlichen Wunsch hin hatte Chat Bidu sich zu dieser Reise nach Cor Finias entschlossen. Der Prinz der Tuach na Moch gab beiläufig bei einem Abendessen, zu dem er sie geladen hatte, zu verstehen, dass seine Gemahlin sich bestimmt mittlerweile in Cor Finias allein fühlen würde, und dass seine Regierungsgeschäfte es ihm nicht ermöglichten, ihr in nächster Zeit nachzureisen. Er fragte, ob sie es für sinnvoll hielte, eine Person, die Fiachas Freundschaft genoss, zu ihr zu senden, und sie wusste, dass diese Frage von Arkan nur pro Forma gestellt worden war. Es war schon beschlossene Sache des Prinzen, dass Chat Bidu diejenige sein würde, die seiner Frau nachreisen sollte. Weitere Hinweise, dass die Druidin noch nicht viel im Hügelreich umher gereist sei und somit Neues kennen lernen konnte, waren nur Zierwerk der Verschleierung eines Befehls.
So hatte sie schon einen Fußweg von mehreren Tagen hinter sich, bis sie schließlich zu der Ortschaft Irst kam, von wo aus ihr die Reise durch die Nichtzeit nach Cor Finias ermöglicht werden würde. Sicherlich hätte ein Flug mit einem der awyren (1) sie wesentlich schneller nach Cor Finias gebracht, aber sie erinnerte sich nur sehr ungern an die Tatsache, dass ihre erste Fahrt in der Weise lehrreich war, dass sie feststellen musste, dass ihre Innereien dem Erdboden mehr verbunden schienen als sie selbst. Die einzige Aussicht, die sie zu bewundern fähig gewesen war, war die des Bugs und der letzten Mahlzeit, die über Waldgipfel und Ländereien entschwand. Allein die Gedanken an eine Reise mit dem awyren verursachten ihr seitdem schon Unbehagen und weiche Knie.
Die Schutzmauern von Irst erhoben sich trotzig aus dem schroffen Felsgestein der Bergkette, die das Tal hufeisenförmig umsäumte, als wollten sie dem Gebirge Einhalt gebieten. Flächen von frischen Wildwiesen standen im Kontrast zu den steinigen Hängen, auf denen selbst die genügsamsten Pflanzen ein kärgliches Dasein fristeten.
Schon weit vor den Stadtmauern säumten Häuser und Höfe die belebte Straße zum Haupttor. Die kleine Frau fiel in ihrem schlichten weißen Gewand und Reisegepäck nicht weiter auf, als sie, verwundert über die vielen Menschen, durch das Tor in das geschäftige Treiben der Stadt schritt. Händler priesen lautstark ihre Waren an und feilschten ebenso laut um die Preise mit interessierten Käufern. Der Duft von Ständen mit Kräutern und Honigwaffeln vermischten sich mit dem Aroma von Früchten und Gemüse. Schon nach wenigen Schritten über diesen Markt erkannte Chat Bidu, dass es wohl kaum etwas gab, was hier nicht erworben werden konnte.
Sie ließ sich in dem Gedränge der Mocha treiben, das immer dichter wurde, und wurde langsam aber stetig wie ein Blatt auf dem Wasser vorwärts getrieben. Nach den langen Tagen der einsamen Wanderungen durch dieses Land, wurde diese Enge und Lärm ihr schnell zu viel, dennoch tauchte sie eine Zeit lang in die dichteste Menschenmenge ein, bis sie eine kleine, dunkle Seitenstrasse als passenden Ausweg wählte, in der sie schließlich verschwitzt und atemlos an einer alten Häusermauer stehen blieb. Den Blick noch auf das Geschehen des Marktes gerichtet, tasteten ihre Hände nach dem Münzbeutel an ihrem Gürtel. Das weiche Leder und das leise, hölzerne Klappern der Münzen ließen sie erleichtert aufatmen. Sie schalt sich still für ihre Unvorsichtigkeit. Wie schnell hätte ein Beutelschneider in dieser Menschenmenge ihre Reisekasse an sich reißen und verschwinden können. Nun, diese Unachtsamkeit war dieses eine Mal nicht vom Schicksal bestraft worden, aber Chat Bidu schwor sich, es nicht noch einmal herauszufordern.
Ein Mann, der wie sie zuvor, in der Menge vorwärts gedrängt wurde, sah suchend in ihre Richtung. Die Druidin schob sich tiefer in den kühlen Schatten der Traufe und beobachtete mit einem zufriedenen Lächeln, wie er aus ihrem Sichtfeld entschwand.
Dieser Fianna war wirklich hartnäckig. Seit ihrer Abreise aus dem Palast war sie sich über die schattenhafte Verfolgung dieses Mocha bewusst und hatte schon einige male versucht ihn abzuhängen. Aber er war scheinbar um einiges ehrgeiziger als die Fianna, mit denen sie es bisher zu tun gehabt hatte, und tauchte immer wieder auf. Mittlerweile genoss sie die Herausforderung dieses Katz und Maus Spieles. Nur diesmal würde sie in ein Mauseloch verschwinden, das ihm entging. Sie ließ sicherheitshalber noch einige Zeit verstreichen, bevor sie sich aufmachte, das Gasthaus „Zur Singenden Säule“ aufzusuchen.
Das kleine Gasthaus war erstaunlich sauber und in der Stube roch es nach Braten und Bier. Der Wirt, ein kleiner zierlicher Mann, sah auf, wischte sich die Hände an einem Lappen ab und kam eiligen Schrittes auf sie zu.
„Möchtet Ihr ein Lager für die Nacht? Ein gutes Essen vielleicht und etwas Kühles gegen den Durst?“
Der Mann reichte Chat Bidu gerade bis zum Hals und sein kurzes, schütteres Haar stand trotzig nach allen Richtungen.
„Alles! Und außerdem vielleicht, wenn es Euch nicht zu sehr aufhält, ein Gespräch und Dienste, die ich sehr wohlwollend bezahlen würde.“
Wenn der Mann sie vorher auch schon mit geschäftstüchtiger Höflichkeit behandelt hatte, so hatte sie seinem Blick nach zu urteilen, nun seine volle Aufmerksamkeit. Er nickte.
„Bitte nehmt Platz. Ich lasse Euch ein köstliches Essen servieren, sowie einen Krug Bier. Oder möchtet Ihr lieber preiswertere Pfannekuchen, die aber durchaus schmackhaft und reichlich belegt sind?“
Chat Bidu lächelte in an. „Das Essen, das Ihr zuerst erwähnt hattet, scheint mir angemessener zu sein, aber bitte reicht mir dazu einen Krug mit Wasser. Und als Abschluss komme ich gerne auf einen Pfannekuchen zurück, belegt mit süßen Früchten, wenn es Euch möglich ist.“
Der Mann verbeugte sich und ging eilenden Schrittes in den Nebenraum, der wohl die Küche war.
Die Druidin seufzte. Das war bisher die geschickteste Nachfrage bezüglich der Zahlungsfähigkeit eines Reisenden, die sie in den letzten Wochen vernommen hatte.
„Zuerst hatte ich vermutet, dass Ihr ein besseres Gasthaus als dieses hier aufsucht,“ tönte der Bariton des Fianna direkt neben ihr. Lächelnd schob der Mann sich den Stuhl zurecht und setzte sich mit einem behaglichen Seufzer zu ihrer Linken. „Ich nehme an, Ihr habt schon Essen bestellt?“ Die blauen Augen des Mocha trafen ihren Blick und funkelten belustigt über den kleinen Sieg ihres Versteckspiels.
„Also gut, Gorrith, Ihr habt bewiesen, dass….“
„Ich besser bin als jeder andere Fianna, mit dem Ihr es bisher zu tun gehabt habt,“ beendete der junge Mann ihren Satz mit gespielter Arroganz.
Chat Bidu lächelte und schüttelte verneinend den Kopf. „Ihr habt bewiesen, dass Ihr einige meiner Strategien mittlerweile schon durchschaut habt, - aber wenn Ihr darauf besteht: Ja, Ihr seid wirklich ein unglaublich guter Leibwächter.“
Gorriths Gesicht erstarrte und seine Augen forschten intensiv nach einer Regung in Chat Bidus Mimik, die erklären würde, ob dieses Lob nun ein Scherz oder ernst gemeint war.
Der Wirt unterbrach diese schweigende Studie mit lautem Lachen und Scherzen und tischte polternd vor den beiden auf. Das Fleisch dampfte und die gestampften Kartoffeln waren reichlich mit frischen Kräutern bestreut, so dass der Duft des Essens Chat Bidus Magen zum Knurren brachte.
Gorrith lachte. „Oh weh, verehrte weise Mutter! Bitte seid so gut und esst reichlich. Der Prinz würde es mir nie verzeihen, wenn Ihr nicht körperlich in der besten Verfassung Eure Reise beenden würdet.“
Die Druidin bedachte den Fianna mit einem bösen Blick, aber als sie nichts als ernsthafte Besorgnis in seinem Gesicht sah, seufzte sie ergeben und schob sich ein großes Stück Fleisch in den Mund und schob Gorrith die Schale zu.
„Habt Dank, kleine Mutter, aber ich kann unmöglich Eure Ration schmälern, - ich kann mir gleich noch etwas bringen lassen. Oder würdet Ihr das als Beleidigung auf-fassen?“
Der Bratensaft rann über Chat Bidus Kinn, welche versuchte irgendwie die fettigen Spuren zu beseitigen, ohne ihre Ärmel zu beschmutzen.
„Ipf pfende esh öhr schimm, dapf ir jözt nö anword ollt.“
Der Fianna errötete und kratzte sich verlegen am Kopf. „Verzeiht, das war wirklich unachtsam von mir. Wenn…“
„Gorrith!“ entgegnete die kleine Frau, mit leicht gereiztem Unterton „bitte! Ja, Ihr seid ein guter Leibwächter, ja, ich habe mich sogar an Eure Begleitung gewöhnt, und ja, sie ist sogar manchmal recht... recht... amüsant. Aber bitte, schweigt beim Essen! Und vor allen Dingen, nötigt mich niemals beim Essen zu antworten, wenn Ihr doch mit Eurem so geschulten Blick seht, dass ich bei einer Antwort ersticke oder die Speise über den Tisch verteilen müsste! Wäre das wohl machbar?“
Wieder schoss die Röte ins Gesicht des jungen Fianna. Statt einer Antwort nickte er nur kurz und drehte sich scheinbar interessiert einem Spielmann zu, der den Gastraum betreten hatte.
Die Druidin saß noch einige Zeit bei einem Becher Wein und lauschte den Gesängen des Spielmannes, der alte Balladen der Mocha darbot und auch auf Wunsch einiger Gäste die alten Sauf- und Rauflieder zum Besten gab.
Bevor sie sich in ihr Zimmer begab, erkundigte sie sich beim Wirt nach einem fähigen Triach, der in Kürze bereit war, die Nichtzeit zu durchschreiten, um Reisende nach Cor Finias zu bringen.
„Da bleibt wohl nur Driff,“ lächelte der Mann und steckte verstohlen die ihm geboßtene Münze in seinen Münzbeutel. „Er ist sicherlich ein wenig seltsam, aber der erfahrenste und älteste Triach, den es gibt. Außerdem habt Ihr Glück, Frau, denn ich weiß, dass er am morgigen Tag gen Mittag eine Gruppe nach Cor Finias bringen will. Vielleicht könnt Ihr Euch ihm anschließen? Wenn die Gruppe nicht zu groß ist.“
Chat Bidu lächelte zufrieden und schob eine weitere Münze in die klumpigen Finger des Wirtes. „Ich vermute, Ihr lasst mich wissen, ob ich dabei sein kann?“ Das Lachen des Wirtes war rau und klang als ob eine sterbende Kreatur mit seinen letzten Atemzügen rang. „Bevor Eure schönen Augen den neuen Tag erspähen und Ihr ihn preisen könnt, werdet Ihr schon gemeldet sein. Ihr braucht Euch nur um Mittag seiner Gruppe anzuschließen.“ Die Druidin verbiss sich einen Kommentar bezüglich seines anzüglichen Zwinkerns und zwang sich zu einem Lächeln. „Guter Mann,“ sagte sie nur, und wandte sich zur Stiege, die zu den höher gelegenen Schlafräumen führte.
Das Zimmer mit der Lagerstatt war winzig, aber das Heu roch frisch und selbst im trüben Schein der Öllampe war kein Getier zu sehen, so dass Chat Bidu auf einen Reinigungszauber verzichtete und ihre Decke ausbreitete. Eine Weile schaute sie noch den tanzenden Schatten der Lampe zu, die im Dachgebälk zum Leben erweckt schienen, bis sich ihre Augen der Müdigkeit ergaben und sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
Die Zimmertür knarrte leise, als der Fianna vorsichtig ins Zimmer spähte und die Frau auf dem Heulager ausmachte. Leise betrat er den Raum und löschte das Licht der Lampe. Kurz verharrte er und lauschte dem gleichmäßigen Geräusch ihres Atmens, dann verließ er genau so leise den Raum, wie er ihn betreten hatte und zog die Tür hinter sich zu, ohne dass sie ins Schloss fiel. Im Flur direkt neben dem Spalt der angelehnten Tür ließ er sich nieder und summte in Gedanken ein altes Lied. Alles war weitaus schwieriger, als er gedacht hatte. Diese Frau war undurchschaubar, unberechenbar. Mit seinem jungenhaften Charme hatte er bei Frauen immer Erfolg gehabt, aber Chat Bidu strahlte eine Autorität aus, die jegliche seiner Versuche, das Eis zu brechen, niederschmetterte. Natürlich hatte er nicht vor, das Lager mit ihr zu teilen, wenngleich der Gedanke daran durchaus reizvoll war. Gorrith lachte leise in sich hinein. Wie konnte es irgendjemand bloß schaffen, dass diese Frau sich für wen ernsthaft interessierte? War sie überhaupt fähig Freundschaften zu schließen? Hatte sie überhaupt Freunde?
Nun, sie hatte offensichtlich erkannt, dass er ein durchaus fähiger Fianna war und nach vier Tagen der Reise schien sie sogar zu bemerken, dass man sich mit ihm unterhalten konnte. So klein dieser Erfolg auch war, im Zusammenhang mit dieser Druidin war dies schon ein Sieg sondergleichen. Diese kleine Frau hatte ihn endlich als Person wahrgenommen. Er würde seinen Auftrag erfüllen.
„Gorrith?“ Die sanfte Altstimme der Mocha drang zu ihm.
„Ich bin hier, kleine Mutter, ich habe das Licht gelöscht, damit es Euren Schlaf nicht stört,“ erklärte er leise durch den Türspalt.
Statt einer Antwort hörte er nur das kurze Rascheln des Heus, als sie ihre Lage veränderte.
Ja, er würde seinen Auftrag erfüllen.
Der Lärm der Strasse ließ sie erwachen. Die Sonne schien durch das schmierige, kleine Fenster und die sanften Strahlen des Morgenlichts glitten in tausend prismafarbenen Fäden durch den Raum.
Chat Bidu stand auf und pflückte sich, während sie verschlafen das Fenster öffnete, einige Halme aus ihrem Haar. Die Luft war noch kühl und frei vom Staub der Strassen.
Sie wusch sich an der alten verbeulten Waschschüssel, die in der Ecke des Raumes auf einem Hocker stand, der ständig um die Balance zu kämpfen schien, und zog ein schwarzes Gewand an, dessen Ärmel weit ausladend und kontrastreich mit farbigen Streifen verziert war.
Lächelnd sah sie an sich herab und drehte sich wie ein Derwisch zu dem Trommelklang ihrer Erinnerungen.
„Uih!!“
Abrupt verharrte sie in ihrer Bewegung. Das Kleid schien für einen Bruchteil einer Sekunde den Tanz ohne sie weiterzuführen und wickelte sich sanft um ihren Körper.
Garrith stand lächelnd an der Tür und betrachtete die kleine Frau, die jetzt verlegen nach Worten suchte.
„Könnt Ihr nicht anklopfen, bevor Ihr die Räumlichkeiten einer Frau betretet, oder wurde das Euch in Eurer Kinderstube nicht beigebracht?“ zischte sie schließlich und wandte sich dem Fenster zu, um es mit einem lauten Knall zu schließen.
„Verzeiht, ich wollte Euch wirklich nicht in Verlegenheit bringen, ich meinte etwas gehört zu haben und wollte nur sichergehen…“
Als die Druidin sich umwandte, hatte sie sich wieder gefasst und schüttelte ihren Kopf, als habe sie es mit jemanden zu tun, der die Dummheit in Person war.
„Fragt erst einmal nach, bevor Ihr einfach eintretet. Und nein, Ihr habt mich nicht in Verlegenheit gebracht, - eher Eure plumpe Art mit
der Privatsphäre einer Frau umzugehen.“
Mit einem erstaunlich kräftigen Ruck schob sie sich an ihn vorbei, um durch die Türe zu gelangen.
Nach einem kleinen Frühstück, das sie schweigend zu sich nahm, sah sie auf, als ob sie sich plötzlich daran erinnerte, dass der Mann schon die ganze Zeit schweigend dasaß. Ihr Gegenüber hatte nur in einem Becher Milch gerührt und auf die Flüssigkeit gestarrt, als erhalte er dort alle Antworten der Welt.
„Wenn Ihr so weitermacht, könnt Ihr Euch die Milch als Butter auf das Brot schmieren,“ kommentierte sie, und Garrith vernahm einen Tonfall in ihrer Stimme, der ihn erstaunt aufblicken ließ. Die Druidin fixierte ihn mit ihren dunkelgrünen Augen, die ständig zu beobachten schienen. Aber auf ihrem Mund lag ein leicht amüsiertes Lächeln.
„Das war ein Scherz?“ fragte er verblüfft.
„Ich scherze nie, Garrith!“ kam sofort die Antwort, doch ihre Augen funkelten belustigt. „Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang, bevor wir den Triach treffen?“
Garrith schlenderte für einige Stunden neben der kleinen Frau und beobachtete fasziniert ihre Wandlungsfähigkeit. Schien sie bei einem Geschäft mit einem Händler kalt und undurchschaubar, so konnte ein Stand mit Blüten und farbigen Stoffen ihre Augen zum leuchten bringen. Bei einem Ziegenstand ging sie sogar vor einer Zicke in die Hocke und streichelte dieses graue, verschmutzte Wesen mit einer Sanftheit und Hingabe, das in ihm der Wunsch aufkam, er könne an des Tieres statt ihre Finger an seinem Körper spüren.
„Ich vermisse die Tiere, die Felder, meine Familie,“ erzählte sie mit abwesendem Blick und ihre dunkle Stimme untermalte eine Welle der Traurigkeit. Plötzlich erhob sie sich und ihr Blick hatte wieder die ruhige Kühle der Druidin Chat Bidu, so wie er sie kennen gelernt hatte. „Gehen wir zurück, ich muss noch mein Bündel verschnüren, und vielleicht ist Euch nach einem kräftigeren Mahl als Buttermilch vor der Weiterreise.“
Während des Essens traten vier Mocha, bepackt mit Reisepro-viant, in die Gaststätte ein und versam-melten sich laut schwatzend an einem Tisch, der vor der Kaminecke stand.
„Das ist wohl unsere Gruppe,“ sagte Garrith und nickte in die Richtung der anderen.
Ein kleiner Mann, dessen Kleidung aus hunderten von verschieden gefärbten Flicken zu bestehen schien, unterhielt sich mit dem Gastwirt und schlenderte auf den Tisch zu, an dem Garrith und Chat Bidu saßen. Ein langer Bart, der zu mehreren Zöpfen geflochten war, baumelte bei jedem seiner Schritte von einer Seite zur anderen.
„Ihr seid dabei, “ murmelte er schließlich vor ihnen stehend und blickte stetig um sich, als ob er irgendetwas Wichtiges zu entdecken habe. „Schön dich zu sehen, Garrith, wirst doch noch Triach?“
Erstaunt sah Chat Bidu ihren Begleiter an. „Was meint er?“
„Is’ mein Neffe Garrith, - hätte das Zeug schon dafür,“ beantwortete der Triach ihre Frage, bevor Garrith auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte. „Eine Stunde, dann gehen wir,“ fügte er hinzu und schlenderte immer noch mit seinem ständig in Bewegung haltenden Kopf wieder in die Richtung des Wirtes, der ihm einen großen Krug auf die Theke hinstellte.
Die Druidin musterte Garrith mit einem Blick, der Antworten forderte, aber dieser starrte nur auf den Tisch und schüttelte schweigend den Kopf.
„Seht Ihr, kleine Mutter, er ist ein Onkel von mir und alle sind sehr stolz auf ihn. Aber für mich ist das nichts, - ich will nicht irgendwann einmal als Wirrkopf enden, - falls Ihr versteht was ich meine. Die Nichtzeit fordert immer ihren Tribut, - egal wie gut ein Triach auch sein mag.“ Er sah auf und lächelte entschuldigend.
Chat Bidu registrierte den Schmerz in seiner Stimme und nickte stumm.
„Nun, Ihr habt Eure Wahl ja getroffen. Und ein Fianna ist wahrlich auch etwas, das den Stolz der Familie erwachen lassen kann…“
„…nicht mitgehen!“
„Bitte?“, verwirrt musterte sie ihn.
„Ich sagte, wir sollten auf keinen Fall mit dieser Gruppe gehen. Nicht mit ihm als Durchquerer,“ wiederholte Garrith seinen Satz in einem leicht aggressiven Tonfall.
„Wieso nicht? Er soll der älteste und erfahrenste Triach sein, …“
„Und der verrückteste wahrscheinlich auch. Kleine Mutter, Ihr dürft nicht mit ihm die Nichtzeit durchqueren!“
Chat Bidu nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Becher. Mit einem Mal schien das Wasser abgestanden und fahl zu schmecken. Das war kein Rat, den er ihr gab. Dieser Ton war fast einem Befehl gleich.
Chat Bidu stand auf. „Wartet Garrith, ich bin gleich wieder da,“ sagte sie und ging in die Richtung zur Theke.
Der Triach hatte sich derweil mit seinem Krug an einen kleinen Tisch gesetzt und schien ihr Vorbeigehen gar nicht zu bemerken. Er murmelte ständig vor sich hin, während sein Blick, gefolgt vom langsamen Wiegen seines Kopfes, die dunklen Dielen des Bodens nach Getier abzusuchen schien.
Der Wirt legte einen alten Lappen beiseite, mit dem er die Theke abgewaschen hatte und wandte sich der Druidin zu. „Möchtet Ihr noch etwas trinken, Verehrteste, oder etwas Obst?“
Chat Bidu schüttelte verneinend ihren Kopf.
„Sagt mir, Wirt, seid Ihr sicher, dass dieser Mann da weiß, was er tut?“ fragte sie, und schaute kurz zu der merkwürdig verloren wirkenden und murmelnden Gestalt.
„Driff? Er ist der beste, den Ihr als Triach bekommen könnt, Frau, wirklich! Ich selber war schon einige male mit ihm unterwegs. Er ist erfahren und auf Sicherheit bedacht, wenn es um seine Begleiter geht. Wenn er auch hier ein wenig komisch wirkt, - er ist der Meister der Triach. Daran gibt es nichts zu zweifeln!“
Chat Bidu seufzte und der Mann lächelte ihr aufmunternd zu. „Es gibt eine Menge Triach, die nicht so erfahren sind wie der alte Driff, und wirklich, - ich meine wirklich verrückter wirken als er.“
„Habt Dank, guter Mann, “ sagte sie und kratzte sich mit einer verlegenen Geste am Kopf. „Es ist nur meine erste Reise und mein Weggefährte scheint diesem Driff nicht gerade zu trauen.“
„Was? Dann sagt diesem jungen Narren, dass er seine falschen Meinungen für sich behalten soll. Ich kenne Hunderte von Reisenden, die jeden Triach für Driff eintauschen würden. Moch selber könnte Euch nicht sicherer begleiten.“
Als sei das Thema damit ein für alle Male beendet, widmete sich der Mann ein paar Krügen zu, die er in einem großen Fass durchspülte.
Eine Weile stand Chat Bidu unschlüssig an der Theke, bevor sie wieder zum Tisch ging, an dem Garrith sich gerade ein großes Schmalzbrot schmecken ließ.
„Wir reisen mit diesem Driff, Garrith, - ich traue diesem Mann. Und wenn Ihr fürchtet, er sei nicht gut als Triach, dann sucht Euch einen anderen für diese Reise. Vielleicht reist ja morgen wieder einer nach Cor Finias.“
Garrith sah auf und sein Gesicht zeigte eine blanke Entrüstung über ihren Vorschlag. „Niemals werde ich es zulassen, dass Ihr ohne einen Fianna weiterreisen werdet. Gut, falls Ihr darauf besteht, dass Ihr mit diesem verrückten Alten reisen wollt, so soll es dann auch sein. Führt uns beide nur ins Unglück!“ polterte er los, sprang von seinem Stuhl auf und stürmte an ihr vorbei, hinaus aus der Gaststätte und ließ sie verblüfft über den plötzlichen Ausbruch seines Temperaments stehen.
Garrith stand an einer steinernen Bank und schaute frustriert dem Treiben auf dem kleinen Marktplatz zu. Das passte alles nicht in die Pläne. Wieso musste ausgerechnet Driff der Triach sein, der sie führen sollte? Es würde alles nur noch schwieriger machen.
Zornig stieß er einen Kiesel mit seiner Stiefelspitze gegen die Mauer der Gaststätte. Wieso konnte diese Frau nicht seinen Rat annehmen? Wieso vertraute sie mehr den Worten eines mittelmäßigen Wirtes als dem Fianna, der ihr zugeteilt worden war? Ja, wieso?
… Wieso eigentlich? Wenn es nach ihr ginge, wäre er nicht in ihrer Begleitung. War es einer ihrer erheblichen Formen zu rebellieren? 'Wenn du schon mitgehen willst, dann folge mir auch ins Verderben?’
Langsam beruhigte er sich wieder und atmete tief die staubige Luft ein.
Er würde seine Aufgabe erfüllen und daran könnte auch kein eigensinniges Weib etwas ändern. Vielleicht war es sogar eine Fügung, dass so ein erfahrener Triach es sein sollte, der ihm dabei half.
„Garrith? Kommt Ihr?“ Die kleine Gruppe stand am Eingang der Schänke und Chat Bidu winkte ihm zu. „Ich habe mir erlaubt Euer Bündel zu holen,“ erklärte sie und hielt ihm seine Sachen hin, damit er sie von der zusätzlichen Last befreien konnte.
Außerhalb der Stadtmauern, umrankt von dichtem Buschwerk, war ein schmaler Pfad, dem sie eine Weile folgten. Mit einem Mal blieb der Triach, der die Gruppe anführte, stehen und wies auf den Boden, wo der Weg abrupt endete, als habe ein riesiges Schwert ihn geteilt. Dann zeigte er mit einem knorrigen Finger seiner schmalen Hand in die Richtung, in der der Pfad endete. Eine unangenehme Stille rief Chat Bidus Sinnen eine nicht wahrzunehmende Gefahr zu.
„Folgt und bleibt immer nahe bei mir. Hier beginnt unsere Reise durch den Schleier des Todes,“ krächzte Driff, als hätten seine Stimmbänder Mühe verständliche Laute zu formen.
Chat Bidu sah mit Erstaunen, wie einer nach dem anderen dem Triach folgte und vor ihren Augen in einem Schleier aus grauer Substanz verschwand. Schnell folgte sie ihnen und merkte, wie sie instinktiv beim Durchschreiten der Barriere ihren Atem anhielt, als tauche sie in einen See aus grauem Nichts.
Ende Teil 1