Der See

 

Sie war gerade auf dem Heimweg zum Palast, als sie sich kurzfristig für ein erfrischendes Bad im Korodai-See entschloss. Ihre Jagd hatte sie länger als geplant in Anspruch genommen, da sie bei einem Cincal-Nest Stunden mit der Beobachtung der Elterntiere verbracht hatte, die unermüdlich ihren Nachwuchs mit Käfern versorgten und zwischenzeitlich zu Fiachas Erstaunen noch die Zeit für einige wunderschöne Gesangseinlagen aufbrachten. Dementsprechend war auch die Ausbeute ihrer Jagd. Stolz hob Fiacha die zerbrochene blau marmorierte Eierschale in ihrer Hand gegen das Sonnenlicht und beobachtete das Farbenspiel.
Sie war sich ziemlich sicher, dass Arkan wieder mit einem leicht amüsierten Ausdruck ihre Ausbeute bewundern würde, aber nur solange, bis sie ihm begeistert ihre Beobachtungen schildern würde.
Ihre enthusiastische Erzählweise entführte selbst den Hügelprinzen immer wieder in Fiachas Sichtweise der Natur, und so kannte er die Geschichte eines jeden kleinen Beutestückes, die in einer kleinen gläsernen Vitrine in ihrem Zimmer sorgsam gehütet wurden.
Ein großes Fluginsekt stob, von ihr gestört, mit lautem Schnarren in die Luft auf und entschwand im mannshohen Gras.
Am Ufer angelangt, erschrak sie durch eine Bewegung auf dem Wasser und trat schnell wieder in die schützende Tarnung des Uferdickichts. Vorsichtig spähte sie zum See und stellte amüsiert fest, dass sie wohl nicht die einzige war, welche die Vorzüge eines Bades in diesem kleinen See zu schätzen wusste.
Die badende Frau ließ sich einige Minuten ruhig auf dem Wasser treiben. Sie wirkte recht groß gewachsen. Ihre Brüste bildeten zwei kleine Inseln im blutroten Wasser des Sees, und ihr silbernes Haar trieb wie ein Strahlenkranz um ihr Haupt.
Mit einem Mal stockte Fiacha der Atem. Groß? Silbernes Haar? Bei Moch, sie sah gerade der Druidin Chat Bidu beim Baden zu!!! Der Frau, die selbst bei warmem Wetter und während eines Festtanzes nicht ihren Umhang ablegen wollte.
‚Zugeschnürt bis zum Lächeln', hatte Fiacha mal jemanden sagen gehört.
Ihre Gedanken rasten. Sie sollte besser gehen, bevor die Druidin sie bemerken würde, - immerhin wusste man ja nie wie sie reagieren könnte.
Fiacha hatte sich gerade umgewandt, als ein Ruf sie innehalten ließ und sie sich vor Schreck starr wie eine Statue aus der Nichtzeit fühlte.
"Fiacha, - seid Ihr es?"
"Verzeiht, - äähm, ja, ich bin's....Fiacha, " stammelte die Tuach na Moch verlegen, immer noch dem See abgewandt. "Ich wollte Euer Bad wirklich nicht stören."
Sie hörte, wie Chat Bidu zum Ufer schwamm.
"Ihr stört mich keinesfalls, Hoheit! Und wenn Ihr ein Bad nehmen wollt, so bitte, seid so frei, - das Wasser ist angenehm erfrischend. Und wer bin ich, dass ich Euch ein Bad in Eurem eigenen See untersagen könnte?"
Fiacha lächelte. Die Druidin hatte Recht. Wieso benahm sie sich nur wie ein verschüchterter Jüngling? Gewiss, Chat war unbekleidet, aber abgesehen davon hatte Fiacha in einigen Gwuledda1-Nächten schon viele nackte Körper gesehen, - und außerdem waren sie ja zwei Frauen.
Sie kleidete sich aus, aber aus irgendeinem Grund waren ihre Finger unsicher und zittrig, und so benötigte sie recht viel Zeit, bis sie schließlich verschämt aus dem Dickicht trat und sich rasch in das Wasser gleiten ließ.
Oh, das tat gut! Die sanften Wellen des Wassers umspülten ihren Körper mit einer angenehmen Kühle. In langsamen Zügen schwamm sie ein wenig umher, frei von Gedanken nahmen ihre Sinne nur das Wasser und das Farbspiel des Sonnenunterganges im Spiel mit dem See wahr. Als sie den Kopf Richtung Ufer wandte, sah sie Chat Bidu, die, so wie die Götter sie geschaffen hatten, sich mit Seifenkraut langsam die Brüste und den Bauch abrieb. Unwillkürlich stockte Fiacha der Atem, und für einen kurzen Augenblick vergaß sie ihre Schwimmzüge, was sie kurz unter Wasser zog. Prustend tauchte sie wieder auf und glitt Richtung Ufer, ohne den Blick von der Druidin nehmen zu können. Bei Moch, noch nie hatte Fiacha bei einer solch alltäglichen Verrichtung so viel Sinnlichkeit erwartet.
Chat sah auf und lächelte die junge Hügelfrau an.
"Möchtet Ihr auch etwas von dem Kraut, Hoheit? Es ist von besonderer Güte, und sein Öl ist mit Blumenduft veredelt."
Fiacha, am Ufer angekommen, nickte nur. Wie in Trance trat sie auf die Druidin zu und blieb so kurz vor ihr stehen, dass sie die Körperwärme der Oberweltfrau an ihrer Haut spüren konnte.
Verwirrt und ängstlich sah sie auf, als sie Chat Bidus Blick forschend auf sich ruhen fühlte. Fiachas Gedanken rasten. Die körperliche Nähe der Druidin faszinierte sie, und der von ihr ausströmende Duft von Goldblüte und Seifengras ließen ihre Knie weich werden. Wieso blieb diese so unnahbare Frau stehen? Wieso sprach sie kein Wort, oder verwies Fiacha mit dem ihr typisch strengen Blick in die Grenzen?
Plötzlich spürte sie die Hände der Druidin zart mit sanftem Druck über ihren Rücken gleiten, - bis sie für eine kurze Weile an den Hüften ausharrten, um dann wieder mit der gleichen fließenden Leichtigkeit den Weg zurück zu ihren Schultern zu finden. Fiachas Körper erschauderte unter dieser Berührung. Die Welt schien stillzustehen, bis die Stimme der Druidin sie aus ihrer Entrückung holte. Überrascht sah sie auf und sah Chat Bidu lächeln.
"Nur den Rücken, Hoheit?"
"Was?"
Fiacha war völlig verwirrt und starrte Chat Bidu entgeistert an.
"Ich fragte, ob Ihr nur den Rücken gewaschen bekommen möchtet, der …"
Bevor Fiacha auf die Frage reagieren konnte, hatte die Druidin sie zum Wasser gezogen und stand im nächsten Augenblick, sie eng umschlingend, hinter ihr. Als ihre Hände mit dem Seifenkraut den Körper der jungen Hügelfrau massierten, spürte Fiacha die warmen Lippen der Druidin an ihrem Hals. Ihre Gedanken schwanden, - sie tauchte ein ins Nichts und schloss ihre Augen.
Zarte Küsse, geflüsterte Liebkosungen, fordernde Hände. Atemlos vor Leidenschaft und Gier nach Berührungen bis zum berauschenden Vergessen des Seins...
Liebevolle Blicke, geflüsterte Bekenntnisse, vertraute Körper, die sich in den Schlaf wiegen...

Fiacha blinzelte verschlafen in die letzten Sonnenstrahlen. Der leichte Wind ließ sie frösteln, und so richtete sie sich mit suchendem Blick nach ihrer Kleidung auf. Sie befand sich unmittelbar am Ufer des Sees, und das Wasser umspülte ihre Füße, als wolle es sie herausfordern. Irgendetwas stimmte nicht.
Irritiert stand sie auf und sah sich suchend um. Wie lange hatte sie geschlafen? Und wo war Chat Bidu?
Ihre Kleidung lag immer noch im Dickicht, genauso wie sie sie zurückgelassen hatte, selbst das Cincal-Ei lag noch obenauf und schimmerte im letzten Sonnenlicht wie ein zerbrechliches Juwel.
Rasch kleidete sie sich an und verstaute ihren kleinen Schatz sorgsam in ihrem Lederbeutel, bevor sie nochmals an das Ufer des Sees trat. Sie rief zwei-, dreimal den Namen der Druidin und verharrte lauschend nach einer Antwort, aber nur ein aufgeschreckter Vogelschwarm unterbrach die schweigende Idylle
Fiacha lächelte. Das war wirklich verrückt. Sollte sie alles nur geträumt haben? Sicherlich war dies der überströmenden Fantasie des Schlafes entsprungen, wie könnte es auch anders? Ausgerechnet die zugeknöpfte Druidin….

Arkan lachte, und prostete seiner jungen Gemahlin zu. Das späte Mahl war vorzüglich gewesen, und Fiachas ausschmückende Erzählung über ihre erfolgreiche Jagd und Ausbeute hatte seine Stimmung noch mehr verbessert.
"Für so ein kleines Ei bist du also den ganzen Tag unterwegs gewesen? Du kleine Träumerin," gluckste er amüsiert und zwinkerte Fiacha verschmitzt zu. Diese schmollte kurz spielerisch und setzte dann ein süffisantestes Lächeln auf.
"Ja, mein Guter, und am See habe ich Chat Bidu getroffen. Du erinnerst dich sicherlich an sie. Die Druidin? Für den Fall, dass du nicht weißt, von wem ich spreche," sie machte eine dramatische Pause, indem sie sich noch ein wenig Wein eingoß, "das ist die Frau, der du seitdem sie hier ist, immer wieder vergeblich so schöne Augen machst."
Arkans entrüstetes Gesicht ließ sie kichern.
"Und ICH, die kleine Träumerin, habe zumindest schon im Traum mit ihr das Lager geteilt," lachte sie los. Der Hügelprinz sah sie überrascht an.
"Erzähl das bloß niemandem, Fiacha! Nachher kommt ihr das zu Ohren, und du weißt doch, wie humorlos sie ist, wenn es um ihre Person geht," flüsterte Arkan ihr zu.
Fiacha lächelte über die Besorgnis ihres Gatten.
"ICH bin diskret, mein Guter! Kommst du mit ins Schlafgemach oder gibt es noch Staatsgeschäfte, die dich fordern?"
Der Hügelprinz verzog sein Gesicht erst zu einer leidenden Miene und grinste sie dann jungenhaft an.
"Geh ruhig, ich komme gleich nach, aber nur wenn du mir einen Gefallen tust."
Die junge Hügelfrau blieb vor der Türe stehen, ohne sich umzuwenden. Lächelnd wartete sie auf die Forderung ihres Gatten, die wahrscheinlich wieder einmal darin bestand, ihn am nächsten Tag bei der Feier der Häuser so weit wie möglich zu vertreten.
"Nimm bitte diesen Strang Seifenkraut aus deinem Haar!"
Fiacha erstarrte und sie bemerkte, wie ihr das Blut vor Verlegenheit in die Wangen schoss. Irritiert verließ sie den Raum, dankbar dafür, dass Arkan nicht sehen konnte wie verwirrt sie war.

 

1 Gwuledda = Nacht vom letzten April- auf den ersten Mai-Tag, wird im Hügelreich zu Ehren Mesg gefeiert, bei dem um Feuer getanzt wird und berauschende Speisen und Getränke zu sich genommen werden. Das Fest endet immer orgiastisch, - zumindestens für jene, die dazu noch in der Lage sind.

 

Der See
Chat Bidu
Britta Durchleuchter

 

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Stand:30.09.2010