Das Weinfass

 

Dieses ist eine Geschichte aus alten Zeiten, als Reesa noch ein rechter Frischling war und sie ihre Zeit mit Neckereien ihres älteren Bruders verbrachte, aber mit ihm auch durch dick und dünn ging.
So manche böse Zunge behauptet, die Tuach na Moch wären nur auf wenige Dinge aus und mit geringen Mitteln zufrieden zu stellen. Eine dieser Zungen behauptet, sie würden schon als Babys mit allerlei Alkohol gesäugt und würden Dinge wie Muttermilch auf den Tod verabscheuen. Nun, wäre auch nur ein Fünkchen Wahrheit an diesen Gerüchten, so wäre Reesa sicherlich aus der Art geschlagen, man kann nicht sagen, dass sie Alkohol zu Moch wünschen oder jede Gelegenheit nutzen würde, gegen Alkohol zu sprechen, doch selbst rührte sie nicht einen Tropfen an.
Doch wie es dazu gekommen ist, ist eine Geschichte, die sie freilich nicht jedem erzählen würde. Zu beschämend ist es und ihr äußerst schlecht im Gedächtnis geblieben. Doch ihr Bruder nutzte natürlich jede Gelegenheit, sich gründlichst darüber auszulassen und so haben wir auch nur eine Fassung seiner Version in Überlieferung, doch möchten wir euch diese natürlich nicht vorenthalten. Zumal es schwer ist, sich der lautstarken Erzählung zu entziehen, wenn Rhys nach einigen Humpen Bieres oder schweren Weines den Mund nicht mehr schließen konnte und alles, was auch immer in seinem Kopf vorhanden war, heraussprudelte.
Nun würde Reesa sicherlich behaupten, dass nicht sonderlich viel in diesem Kopf sein konnte. Doch wenn man die Geschichte ihres Bruders nüchtern betrachtete, so musste man ihn schon ob seiner Erfolge loben. War die Familie schon in alten Zeiten nicht arm, so hatte der Bruder den Reichtum zu mehren gewusst, was zum Einen mit geschickter Hochzeit, aber zum Anderen auch mit seinem Geschäftssinn zu tun haben mochte. Doch schweife ich ab und so wollen wir uns an diesem lauschigen Abend der Gesellschaft fröhlich Zechender zugesellen, der Wind streicht mit warmen Atem durch die geöffneten Fenster der Taverne Zur alten Traube, zarte Geigenklänge schweben durch den Raum und fröhliche Stimmen prosten sich zu, mit mehr oder minder gefüllten Humpen.
"Dort, seht ihr ihn? Am großen Tisch in der Ehrenecke!"
Leicht erhaben steht dieser Tisch, die Stühle sind breiter und bequemer als jene der anderen Tische und ein weißes Tuch liegt auf ihm. Was für eine prachtvolle Gestalt von einem Tuach na Moch, wellig legt sich das dunkle Haar um ein kräftiges Gesicht von gut gebräunter Hautfarbe, die braunen Augen fast so dunkel wie das Haar. Kräftiger Haarwuchs auch im Gesicht und auf den Armen bis hin zu den Händen. Was für ein Mann, breit gebaut, einer der zupacken kann. Feine Kleider umschmeicheln seinen Körper. Ein Wams in senfgelber Farbe, eine Hose in Flaschengrün, ein brauner Mantel hängt über der Lehne des Stuhles. Und eben fängt er mit weit tragender, tiefer Stimme an, seine Geschichte vorzutragen.
"Einst - wir waren noch jung an Jahren, aber wild auf das Leben und alles was es mit sich bringt - beschloss ich, da Vater und Mutter aus waren, eine kleine Feier zu veranstalten. Ich wusste ja, sie würden vor dem Morgengrauen nicht wieder zurückkehren und unsere Bediensteten nutzten die Gelegenheit, sich zu solchen Zeiten für eine Weile aus den Staub zu machen, so dass wir das Haus für uns hatten. Hach, waren das schöne Zeiten."
Eine selige Pause tritt ein, in der Rhys seinen Gedanken nachhängt und nur durch Zurufe und ein weiteres Bier dazu bewegt werden kann, weiter zu sprechen.
"Nun, das Haus war also leer und meine Freunde standen in den Startlöchern. Zuallererst plünderten wir natürlich die Küche, genauer gesagt hatte ich meine Schwester abgestellt, uns zu bedienen, damals folgte sie mir wie ein Hündchen."
Meist erfolgen an dieser Stelle die ersten Lacher.
"So war es natürlich auch nicht schwer, sie zu dieser Arbeit zu überreden, da sie so wenigstens in meiner Nähe bleiben durfte."
Weitere Lacher folgten und einige der Anwesenden klopften zustimmend auf die Tische.
"Nun gehört natürlich zu einem guten Essen auch ein guter Wein und so beschied ich meiner Schwester, sich in den Keller zu begeben und uns vom Weine zu holen. Doch wie es das Schicksal so wollte, ging meine Schwester nie gern in den Keller und suchte sich immer das Fass, welches der Treppe am Nächsten war. Zu ihrem Übel - und dem meiner Freude - war das erste Fass aber schon so gut wie geleert, so dass sie bald auf das Nächste übergehen musste. Dieses jedoch war das Fass mit dem Lieblingswein unseres Vaters. Es mochten noch gut einige große Krüge des Weines enthalten sein und wir sprachen ihm auch fleißig zu. Je öfter meine Schwester in den Keller ging, desto mehr Mut bedurfte es ihrerseits und so nahm sie von Krug zu Krug einen großen Schluck. War der Wein doch süß und machte ihr ein angenehmes warmes Gefühl in Kopf und Bauch."
Mit Spannung hingen alle an des Erzählers Lippen und obwohl jeder diese Geschichte schon mehrfach gehört hatte, wurde sie immer wieder und wieder mit voller Konzentration verfolgt, als wäre es ein Ritual.
"Nun kam der Zeitpunkt, da der Wein nicht mehr im großen Strom aus dem Weinhahn sprudelte, sondern zu einem kleinen Bächlein verrann, sehr zum Ärgernis meiner Schwester, die nicht noch tiefer in den Keller gehen wollte. Und so kam, was bis heute keiner verstehen kann, wie sie das geschafft hat: Sie trat hinter das Fass und brach aus dem Boden die oberen Bretter heraus, gerade so viele, dass sie sich in das Fass hinein beugen konnte um mit dem Krug vom Rest zu schöpfen."
Große Augen blicken ihn an und Stimmen murmeln über das Unglaubliche.
"Wir oben in der Halle vermissten sie freilich nicht, wir alle waren vom Essen und Wein gut gesättigt und keiner dachte an das Mädchen, welches sonst wie ein Schatten am Rockschoße ihres Bruders hing. Zu unserem Schrecken aber waren plötzlich Vater und Mutter daheim, welche wir noch lange nicht erwarteten. Das gab einen riesigen Krach und noch heute brennt mir mein Hintern bei dem Gedanken an jene Nacht, am nächsten Morgen wurde ich zu meinem Onkel in die Ausbildung geschickt und dort war es dann mit den Feiern vorbei. Meine Schwester vermisste vorerst keiner.
Erst später in der Nacht, als unser Vater zur Ruhe gehen und vorerst seinen Zorn mit einem guten Schluck Wein herunterspülen wollte, entdeckte er das Unfassbare. Den Krug in der Hand, drehte er den Zapfhahn auf und stellte fest, dass nicht ein Tropfen heraus kam, dafür hörte er aber seltsame Töne. Verwirrt horchte er an dem Fass und entschied, dass dort ein großes Untier sitzen musste, welches vor sich hin brummte. Bewaffnet mit einer spitzen Picke umrundete er das Fass und fand auf die Weise das Loch im Boden. Vorsichtig hielt er die Leuchte näher und konnte einen weißen Haufen am Grunde des Fasses entdecken. Und dieser Haufen schnarchte, dass es selbst die steinernen Statuen Mochs aufgeweckt hätte.
Bis heute ist niemanden so recht klar, ob es die Dämpfe des Weines waren oder einfach, weil das Fass schräg nach vorne geneigt lag, um den Ablauf besser zu gewähren; auf jeden Fall muss sie auf einmal in das Fass gefallen sein. Einmal dort herinnen nutzte sie die Gelegenheit, nun auch noch den Rest, der ganz vorne schwappte, mit dem Krug aufzunehmen und als sie auch mit diesem nicht mehr schöpfen konnte, musste sie wohl den Wein mittels ihres Mundes aufgesaugt haben, zumindest fand sich später keine große Weinspur in ihrem Kleide und auch der Krug war geleert.
Unser Vater wusste nicht, ob er lachen oder brüllen sollte. So stand er also einfach nur da und wartete. Irgendwann erwachte meine Schwester vom Licht gestört und schaute aus trüben Augen und mit brummenden Schädel zwinkernd in das Licht.
'So mein Kind, das ist ja sehr schön, dass du das Fass von innen inspizierst hast, dann kannst du es auch gleich reinigen.'
Er reichte ihr einen Eimer mit Wasser, welches die Mutter ihm schon gebracht hatte und einen Schwamm herein und er ließ sie nicht eher wieder hinaus, als bis das ganze Fass von innen glänzte. Wer glaubt, dass dieses das einzige Fass war, welches sie in dieser Nacht putzen musste, der hat sich getäuscht. Es waren sage und schreibe sechs Fässer, welche leer im Keller lagerten, große und kleine und jedes Einzelne musste sie putzen.
Ich sage euch, sie sah aus wie ein Häufchen Elend, als sie aus dem Fass stieg und im Haus durfte keiner über Wochen die Worte Fass, Keller oder Wein aussprechen. Seither aber hat sie nie wieder einen Tropfen Alkohol angerührt."
Donnerndes Lachen brandete auf, die Gäste schlugen vor Begeisterung auf die Tische und auf ihre Schenkel. Lächelnd aber sprach Rhys:
"Nun, das war die Geschichte meiner Schwester und des Weinfasses, nehmt es mir nicht übel, ich werde nun meinen Humpen leeren und mich zu Bett begeben. Die Nacht ist spät und auch der Wirt wird nun seinen Schlaf einfordern wollen. Gehabt euch wohl und bis einandermal."
Damit erhebt er sich, verbeugt sich je einmal in alle Richtungen und verlässt leicht schwankend die Taverne zur alten Traube. Auch die restlichen Gäste erheben sich nach und nach, die Geigen spielen eine traurige Weise zum Abschluss, der Wirt schließt die Fenster und die Mägde räumen die Tische und waschen die letzten Humpen. Dann verlassen auch sie die Gaststube und der Wirt schließt sauber die Tür hinter ihnen. Auch ich habe mich schon verabschiedet und bekomme noch mit, wie der Wirt sich fröhlich die Hände reibt und über die guten Einnahmen freut.
So endet dieser Abend und ganz unter uns, die Geschichte wird natürlich nicht weitergetragen.
Denn wehe, Reesa erfährt von ihr, es wäre doch unschön, wenn man ihre Wut heraufbeschwören würde.

 

Das Weinfass
Reesa
Jannine Wächter

 

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Stand:14.07.2015