Es war ein ruhiger Abend in Cor Caen. Viel ruhiger, als es eigentlich hätte sein sollen. Nun gut, der "Wunschbrunnen" war nicht ruhig, die Gäste waren in Feierlaune. Und sie hatten auch allen Grund dazu, immerhin wurde die Schenke heute nach den grauenhaften Vorfällen um den Tod des alten Besitzers wieder eröffnet. Ein Neffe des Toten führte sie nun weiter, nachdem er ein paar Umbauten vorgenommen hatte. Und nun war es so weit, der Schankraum war voller fröhlicher Zecher, die froh waren, endlich wieder in ihrer Lieblingsschenke einkehren zu können. Vor dem prasselnden Kamin hatte es sich ein wandernder Barde bequem gemacht, der gegen Speis und Trank die Zecher unterhalten wollte. Mit angenehmer Stimme trug er ein fröhliches Lied vor, das einige Umsitzende aus voller Kehle mitgrölten. Unglücklicherweise waren ihre Stimmen weder angenehm noch trafen sie durch den genossenen Alkohol öfter als ein paar Mal den Ton. Aber da die Feier schon einige Zeit im Gange war, störte es den Großteil der Zecher nicht. Alle Tische waren besetzt, nur ganz hinten in der Ecke war ein Tisch, der tief im Schatten lag. Hier war eine Zone der Stille, die fröhlichen Zecher mieden diesen Tisch, so dass die beiden Gestalten nicht belästigt wurden. Beide waren in Umhänge gehüllt, die Kapuzen verhüllten ihre Gesichter. Sie schienen in ein heftiges Gespräch vertieft zu sein, auch wenn ihre Stimmen nicht außerhalb der Zone des Schattens zu hören waren. Aufgeregt gestikulierten sie, doch schwiegen sie sofort, als die Schankmaid ihnen neue Humpen Bier brachte. Sie zahlten, das Mädchen lächelte ihnen noch einmal zu und tauchte dann erneut ein in den Lärm der Feier. Die beiden Vermummten griffen zu ihren Humpen, doch dann schien einer von ihnen eine Bemerkung zu machen. Der andere drehte sich um, blickte dem Mädchen hinterher, dann zuckte er die Schultern und sah wieder zu seinem Gegenüber. Sie prosteten einander zu und nahmen große Schlucke.
Im Schankraum ging es weiterhin hoch her, das Bier floss in Strömen, die Musik riss die Zecher mit und die Stimmung wurde immer gelöster. Aber es blieb friedlich, die Gäste des "Wunschbrunnens" wollten sich zwar amüsieren, aber Schlägereien gehörten nicht zu den Vergnügungswünschen der Gäste. Doch nach und nach verabschiedeten sich die Zecher und gingen heim, einige brauchten dazu jedoch Hilfe. Schließlich ging der letzte Gast, verabschiedete sich gutgelaunt von dem Wirt und schloss die Tür hinter sich. Der Barde war schon vor einiger Zeit gegangen, die Schankmaid hatte er mit sich genommen. Das Mädchen hatte ihm den ganzen Abend schon interessierte Blicke zugeworfen. Nur am hintersten Tisch, im Schatten, saß noch ein schlafender Zecher. Der Wirt, Brychan t'crunn, ging zu ihm, rüttelte ihn an der Schulter, um ihn zu wecken. Doch anstatt aufzuwachen, rutschte die verhüllte Gestalt seitwärts und fiel zu Boden. Besorgt kniete sich Brychan neben ihm nieder und untersuchte ihn, dann sprang er auf. Kreidebleich vor Entsetzen lief er zur Tür, lautstark um Hilfe rufend.
***
Für Delwyn n'patrach hatte die Szene etwas Vertrautes, nur dass er dieses Mal nicht den toten Wirt des "Wunschbrunnens" vor sich liegen hatte. Dieser stand – quicklebendig und mit den Nerven offensichtlich am Ende – neben ihm und plapperte nervös irgendwelche Belanglosigkeiten. Mit einer kurzen Kopfbewegung gab Delwyn seiner Mitarbeiterin Tesni a'landeg ein Zeichen. Sie nahm den Wirt mit einem strahlenden Lächeln am Arm und zog ihn in eine andere Ecke der Schankstube. Zum einen war es für den Mann besser, nicht die ganze Zeit mit der Leiche konfrontiert zu werden, seine Nerven würden so nicht weiter strapaziert. Zum anderen bekam Delwyn so wieder Ruhe zum Nachdenken, ohne ständig das Geplapper neben sich zu haben. Und nachdenken musste er. Vor ihm lag eine Leiche, ohne dass es Hinweise auf ihre Identität gab. Dafür gab es eine breite Palette von Verdächtigen, im Endeffekt jeder Gast, der gestern auf der Eröffnungsfeier gewesen war. Auch wenn er nicht wusste, wer das alles gewesen war, wie das bei Schenkenbesuchern üblich war. Ein Wirt kannte zwar seine Stammgäste, aber dieser Wirt hatte gestern erst mit seiner Arbeit begonnen. Stammgäste gab es noch nicht, auch wenn anzunehmen war, dass viele der Stammgäste des alten Wirtes die Schenke wieder besuchen würden. Tesni würde versuchen, jegliche verwertbaren Hinweise aus dem Wirt herauszuholen, auch wenn Delwyn sich keinen großen Hoffnungen hingab. Zu voll war die Schenke gestern gewesen und der Wirt noch unerfahren. Aber vielleicht würde die Schankmaid etwas wissen, sie hatte schon unter dem alten Wirt hier gearbeitet. Noch aber suchten sie das Mädchen, bisher jedoch ohne Erfolg. Pedr m'dafad war aber noch unterwegs, er würde abwarten müssen.
Die Fakten waren recht dünn. Das Opfer war klein, etwas korpulent, aber trotzdem bei leidlich guter Gesundheit. Die Kleidung wies auf einen gewissen Wohlstand des Trägers hin, aber nicht auf Reichtum. Die Hände waren die eines Arbeiters, aber mit sorgfältig geschnittenen Nägeln. Das Gesicht hatte eher einen nichtssagenden Charakter, nichts an ihm zog das Auge an, auf der Straße wäre man an ihm vorbeigegangen. Interessant war, dass der Tote nicht wenigstens ein Messer bei sich führte, trotzdem seine Börse gut gefüllt war. Anscheinend hatte er nicht nur eine Zechtour vorgehabt, mit den Münzen hätte er problemlos die ganze Schenke eine längere Zeit freihalten können. Verletzungen wies der Körper keine auf, die Todesursache musste also eine andere sein. Das war aber eine Sache, bei der sich die Mediker austoben sollten, die waren da die Fachleute. Insgesamt gesehen war es also recht wenig, was er über das Opfer wusste. Aber vielleicht wusste das Mädchen mehr, sie mussten sie nur finden.
Aus dem Augenwinkel sah er, dass Tesni sich ihm näherte. Ein Lächeln stahl sich auf seine Züge, das nicht nur darauf beruhte, dass sie möglicherweise neue Informationen hatte, wie er zugeben musste. Abgesehen von ihrem wachen Geist und ihrem Mut war Tesni auch eine Augenweide. Schlank und hochgewachsen, mit langem, roten Haar und einer niedlichen Stupsnase unter den jadegrünen Augen. Dazu bewegte sie sich mit einer natürlichen Anmut, für die viele Frauen töten würden. Sie wusste genau um ihre Wirkung auf Männer und zum Teil auch auf Frauen, machte sich aber keine Gedanken darum. Worüber Delwyn mehr als nur erleichtert war, denn wenn Tesni es ausnutzen würde, bliebe ihm nichts anderes übrig, als sie versetzen zu müssen. So aber brauchte er sich keine Gedanken darum zu machen, auf die scharfsinnige Frau verzichten zu müssen.
"Nun, Tesni, hat er sich beruhigt?"
Ein kurzes Kopfnicken zum Wirt hin präzisierte seine Worte, auch wenn es nicht nötig gewesen wäre. Die Angesprochene lächelte und nickte.
"Ja, irgendwie scheine ich ihn auf andere Gedanken gebracht zu haben, Chef. Mir zwar völlig unerklärlich, wie ich das gemacht habe, aber man soll Geschenke nicht abweisen, sagte meine Mutter immer. Aber wirklich etwas Neues konnte er mir trotzdem nicht verraten, fürchte ich. Die wenigen ruhigen Minuten, die er gestern hatte, hat er nicht im Gespräch mit den Gästen verbracht. Ich habe mir vorhin die Einnahmen angesehen, hier ging es gestern wirklich rund. Kein Wunder, dass er uns nichts sagen kann. Mit dem Trubel wäre selbst ein erfahrener Wirt an den Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit gewesen. Hat sich Pedr schon gemeldet?"
Delwyn schüttelte den Kopf. Dann grinste er seine Mitarbeiterin an.
"Nein, aber ich denke, er beschäftigt sich noch mit der Schankmaid. Denkst du nicht? Soll ja ein nettes Mädel sein, hört man."
Tesni wurde rot, ihre Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten, bevor sie sich wieder entspannte.
"Tut er das? Dann hoffe ich, dass es auch Resultate bringt!"
Damit stürmte sie davon, zuckte aber bei den ihr hinterherklingenden Worten ihres Vorgesetzten unwillkürlich zusammen.
"Oh, das denke ich schon. Fragt sich nur, ob er auch an seinen Beruf denkt."
Delwyn grinste in sich hinein. Pedr war bei Tesni immer noch ein wunder Punkt. Aus ihrer anfänglichen Interesselosigkeit schien ein erstes, zartes Pflänzchen der Neugier zu erwachsen, was Delwyn mit einem Lächeln sah. Er kannte beide inzwischen gut genug, um zu wissen, dass dies ihre Pflichten nicht beeinträchtigen würde. Aber es würde beiden auch gut tun, sich einander anzunähern. Pedr könnte seine Schüchternheit und vor allem die Unsicherheit ablegen, was er möglichst bald tun sollte. Und Tesni könnte dadurch erkennen, dass es nicht immer das Beste war, perfekt und unerreichbar zu scheinen. Er verstand durchaus, warum sie das tat. Ihr Aussehen verführte dazu, sie als ein hilfebedürftiges Pflänzchen anzusehen und er wusste von ihr, dass sie lange Zeit Probleme damit gehabt hatte. Zu viele Männer versuchten bei ihr dadurch Punkte zu machen, dass sie ihr bei etwas zu helfen versuchten, obwohl sie gar keine Hilfe benötigte. Und die unnötige Hilfe dann höflich wieder los zu werden war nicht immer einfach. Deswegen versuchte sie inzwischen, sich als kompetenter und wissender darzustellen, als sie war. Ein guter Ansatz, aber ebenso über das Ziel hinausgeschossen wie die Helfer vorher. Aber vielleicht würde ihr die Nähe des Tolpatsches Pedr helfen, einen Mittelweg zu finden – für sie beide.
"Chef? Der Mediker ist da. Er fragt nach dir. Steh da nicht so faul rum, beweg dich mal!"
Als er sich umdrehte, sah er, wie Tesni ihn mit einem ebenso unschuldigen wie umwerfenden Lächeln bedachte. Auf eine Erwiderung verzichtete er, nur zu gut war er sich dessen bewusst, dass es nur eine Retourkutsche für seine vorherige Bemerkung war. Also lächelte er zurück und begab sich wieder zum Fundort der Leiche, wo der angekündigte Mediker schon am Werk war. Gwydion n'gwenwyn und er kannten sich schon lange Zeit, hatten eine gewisse widerwillige Anerkennung für die Erfahrung und das Wissen des Anderen entwickelt. Und beide hätten sofort abgestritten, dass sie gern zusammenarbeiteten, obwohl es sich eigentlich doch so verhielt. Vor allem schätzte Delwyn an Gwydion, dass er sich nicht nur auf seine Rolle als Mediker zurückzog, sondern weiterdachte.
"Na sowas. Maith lá, Gwydion. Sind die fähigen Mediker wieder alle beschäftigt, oder warum haben sie dich geschickt?"
Sein Lächeln nahm seinen Worten selbst für einen flüchtigen Beobachter die Schärfe, dann kniete er sich neben den Mediker.
"Und? Was kannst du mir sagen? Wie starb er?"
"Delwyn, welche Überraschung. Besteht kein Interesse daran, diesen Fall aufzuklären? Dann hätte ich mir das Aufstehen ja auch sparen können. Was die Leiche betrifft ... Gewalteinwirkung war es nicht, keinerlei Stichwunden feststellbar. Das lässt uns Gift oder eine natürliche Todesursache als Optionen. Dafür muss ich aber genauere Tests vornehmen. Oder hast du Informationen für mich, die mir einen Teil des Aufwandes ersparen? Der Tatort verrät mir nicht, hier gibt es keine Hinweise. Warum habt ihr ihn schon freigegeben?"
Delwyn war überrascht.
"Freigegeben? Keineswegs, was meinst du denn damit?"
Der Mediker erhob sich, griff in die Brusttasche seiner Robe und holte einen kleinen Beutel hervor. Dann begann er damit, sich eine Pfeife zu stopfen, was ihm einen mürrischen Blick von Tesni einbrachte, den er aber ignorierte. Nach einem genüsslichen Zug deutete er auf den Tisch.
"Der Tote saß dort. Aber hast du schon einmal eine Schenke erlebt, wo einen das Personal in Frieden lässt, wenn man nichts zu trinken hat? Es muss also einen Krug gegeben haben, nun ist der aber weg. Die Frage ist – wo ist er nun?"
Delwyn und Tesni sahen sich an. Diesen Punkt hatten sie beide übersehen. Mit einem kurzen Nicken wandte sich Tesni ab und ging zum Wirt, um ihn noch einmal zu befragen. Der Mediker grinste nur, dann winkte er seinen Helfern und ließ die Leiche abtransportieren. Flüchtig grüßend ging er dann hinter ihnen her, um seine Untersuchungen durchzuführen.
***
Einige Zeit später gesellte sich Pedr zu ihnen, als sie wieder in ihrer Wachstube saßen. Er hatte die Schankmaid nach langer Suche doch gefunden und sie gleich mitgebracht. Das ein wenig verschüchterte Mädchen saß nun bei ihnen auf einem Stuhl und kaute an ihrer Unterlippe. Pedr versuchte ein verwegenes Grinsen, das aber etwas unsicher ausfiel unter Tesnis Lächeln.
"Habe ich das Vergnügen mit Flecha, Schankmaid im 'Wunschbrunnen'? Ausgezeichnet. Ich nehme an, der gestrige Abend ist dir noch im Gedächtnis?"
Grinsend wartete Delwyn ab, bis ihr Gesicht eine tiefrote Färbung angenommen hatte, dann winkte er ab, als sie anfing, stotternd sich rechtfertigen zu wollen.
"Ich meinte den Abend hier in der Schenke, der Rest interessiert uns nicht. Zumindest mich nicht."
Delwyn warf ein Augenzwinkern zu Pedr, was ihm einen recht schmerzhaften Tritt von Tesni unter dem Tisch einbrachte. Die Gesichtsfarbe der Schankmaid wurde noch eine Schattierung dunkler, dann nickte sie zögernd.
"Wir möchten alles wissen, was mit jenem Ecktisch in Zusammenhang steht. Wer dort saß, was er tat und mit wem er sprach. Schließlich stirbt man nicht einfach so, oder?"
Mit niedergeschlagen Augen dachte die Schankmaid eine Weile nach, dann sprach sie mit leiser Stimme.
"Viel weiß ich leider nicht. Der Tisch liegt recht weit hinten im Raum, die meisten Gäste drängten sich aber eher um den Kamin, dort saß der Barde."
Es schien unglaublich, aber sie brachte es fertig, den tiefroten Ton noch dunkler werden zu lassen. Tesni warf Delwyn einen vorsorglichen Blick zu, der dafür sorgen sollte, dass er keine unpassenden Bemerkungen machte. Er aber grinste seine Mitarbeiterin nur an und wartete darauf, dass Flecha fortfuhr.
"An dem Tisch saßen nur zwei Gäste, beide irgendwie seltsam. Kümmerten sich nicht um die Feier, die um sie herum stattfand, waren zu sehr mit sich beschäftigt. Ich erinnere mich nur daran, ihnen ein Mal einen Krug Bier gebracht zu haben. Die anderen Gäste haben gestern viel mehr getrunken, aber ich war auch froh darüber, dass ich nicht so oft in die Ecke musste. Die beiden Gäste waren irgendwie unheimlich. Als der eine von ihnen ging, war ich richtig erleichtert. Aber ich dachte eigentlich, sie wären zusammen gegangen, sie haben sich ja während sie hier waren nur miteinander unterhalten. Ehrlich gesagt, habe ich dann auch nicht weiter auf den Tisch geachtet, ich hatte mit den Gästen in vorderen Bereich mehr als genug zu tun. Auch der Barde ..."
Wieder verstummte sie. Und bevor Tesni sein Bein weiter malträtieren konnte, winkte Delwyn ab.
"Das war auch schon sehr aufschlussreich, danke. Wenn du meiner Mitarbeiterin hier dann noch eine Beschreibung der beiden Gäste geben könntest, wäre uns schon viel geholfen."
Als die beiden Frauen aufstanden, um sich etwas abseits leise zu unterhalten, lächelte Delwyn Pedr an.
"Wenn du weißt, was gut für dich ist, dann reißt du deine Gedanken von der Schankmaid weg und konzentrierst dich auf den Fall. Ich hoffe, du hast gut zugehört und die Hinweise, um die es mir ging, auch mitbekommen?"
Pedr errötete leicht, doch dann sah er seinen Vorgesetzten gespielt entrüstet an.
"Du würdest mich wirklich bestrafen, weil ich einem hübschen Mädchen hinterherschaue? Das hätte ich jetzt nicht von dir gedacht."
Delwyns Grinsen wurde breiter, als er aufstand.
"Mein Junge, du missverstehst mich. Nicht ich würde dich deswegen bestrafen."
Während Pedr noch über diese Aussage nachgrübelte, ging Delwyn zu dem Tisch, am dem das Opfer zusammen mit jener anderen Person gesessen hatte. Vor seinem geistigen Auge versuchte er, das Bild neu erstehen zu lassen. Zwei Gestalten, die sich von der ausgelassenen Feier distanzierten, in ein Gespräch vertieft, vor ihnen jeweils ein gefüllter Krug. Eine der Gestalten war schließlich gegangen, die andere tot. Was war geschehen? Und wo waren die Krüge geblieben? Hatte man sie abgeräumt? Er würde Pedr noch einmal den Wirt befragen lassen müssen. Aber auch das würde ihm wahrscheinlich nicht helfen, die zweite Gestalt ausfindig zu machen. Diese blieb verschwunden, nur eine vage Erscheinung. Sollte dies sein erster Misserfolg werden, seit er seine neue Position innehatte? War seine Erfolgsserie beendet?
***
Einige Zeit später saßen sie sich in der Wachstube gegenüber. Tesni berichtete von dem, was sie noch von der Schankmaid erfahren hatte, Pedr von den Antworten des Wirts. Doch war immer noch keine neue Spur zu erkennen. Die Beschreibung des zweiten Gastes würde ihnen nicht weiterhelfen, er war derart durch seinen Umhang vermummt gewesen, dass es jeder Tuach na Moch sein könnte. Auch die Krüge waren ein Fehlschlag, der Wirt hatte sie abgeräumt und schon gesäubert. Sie standen also wieder ganz am Anfang. Ohne einen Hinweis, ohne ein Motiv, einen Täter, wie sollten sie da den Fall abschließen? Würden nicht die dunklen Elemente dies als Hinweis darauf sehen, dass man nicht unbedingt bestraft wurde, wenn man es nur geschickt genug anstellte? Und war es nicht auch so? Sie wussten weder wen noch wofür sie ihn bestrafen sollten.
In diesem Moment betrat Gwydion das Zimmer. Sein übliches, verkniffenes Gesicht gab ihnen keinerlei Hinweis, als er sich wortlos auf einen freien Stuhl fallen ließ und Delwyn anstarrte. Als deutlich wurde, dass Gwydion von sich aus nicht das Wort ergreifen würde, ergab sich Delwyn schließlich in sein Schicksal.
"Also gut. Wenn es dir auch zuzutrauen ist, du würdest nicht nur zu mir kommen, um dich über mich lustig zu machen, weil ich in einer Sackgasse sitze. Eher würdest du mir dann deine Ergebnisse vorhalten, um zu zeigen, dass du besser bist als ich. Da du aber hier bist, hast du Ergebnisse. Ich bin nicht zu eitel, um eine Niederlage zuzugeben, wenn dadurch ein Verbrechen aufgeklärt werden kann. Also, was hast du herausgefunden?"
Gwydion begann, zu grinsen. Dann faltete er die Hände vor seinem Bauch und lehnte sich zurück.
"Dein Opfer ist keines."
Stille folgte diesen Worten, die drei Ermittler starrten den immer noch grinsenden Medikus an. Dann entlud sich die Spannung in einer Welle von Fragen, die alle durcheinandergingen, bis Delwyn mit einer Geste für Ruhe sorgte.
"Wie meinst du das, mein Opfer wäre keines? Es waren zwei Leute an diesem Tisch, einer ging weg, der andere blieb tot zurück. Wie soll es da kein Opfer geben?"
Ungläubig sah er den Medikus an, der sich mit der Antwort Zeit ließ.
"Es ist ganz einfach. Die zweite Person verließ die Schenke ein paar Stunden, bevor der Wirt den Toten fand, richtig? Nun schau nicht so verwirrt, es ist eigentlich ganz einfach, wenn man klug genug ist. Natürlich hilft es, wenn man ein paar der Erkenntnisse hat, die ich gewonnen habe. Dann ist die ganze Sache recht simpel. Vor allem muss man wissen, dass der Tote nicht durch Gift gestorben ist. Gewalteinwirkung scheidet ebenso aus, der Körper weist keinerlei Spuren auf. Er ist ganz einfach erstickt, ich fand Reste von Bier in der Lunge. Ich würde sagen, dass er sich verschluckt hat und daran erstickte. Ein tragischer Tod, aber kein Mord. Damit brauchst du nach der zweiten Person nicht mehr suchen, sie war schon längst gegangen, als der Tod eintrat. Niemand hat wirklich eine Möglichkeit gehabt, den Tod zu verhindern, es war höchstwahrscheinlich viel zu laut in der Schenke und der Tisch des Toten lag im Schatten. Damit kannst du den Fall den normalen Ermittlern übergeben, die dann herausfinden müssen, wer er war, damit die Angehörigen benachrichtigt werden können. Für dich aber ist der Fall abgeschlossen, Unfälle gehören nicht zu deinen Aufgaben, oder? Nebenbei schuldest du mir ein paar Humpen Bier, schließlich habe ich deinen Fall für dich gelöst. Wann immer du also gerade keine Aufgaben hast, darfst du mich einladen. Ach, das hätte ich fast vergessen – du hast ja gerade keine Aufgabe. Also hopp, bezahl deine Schulden. Den abschließenden Papierkram können deine Leute auch machen, dann wird das wenigstens anständig gemacht."
Lachend erhob sich Gwydion, ging zur Tür, drehte sich noch einmal zu den drei Ermittlern um.
"Wo bleibst du denn? Soll ich hier verdursten? So leicht kommst du nicht davon, das glaub mir. Ich habe sehr viel Durst heute. Ermittlerarbeit machen ist mühsam."
Ende