Trau dem Mocha nicht, wenn er Geschenke bringt

oder

Die Geschichte des fliegenden Frysen

 

Es war in irgendeiner Hafenstadt an irgendwelchen Gestaden Magiras.
Arkan e'dhelcú, den Prinzen des Hügelvolkes, hatte es hierhin verschlagen. Oder war er vielleicht gar mit Absicht hierhin gekommen?
Geschäftiges Treiben auf den Straßen, Güter, die von Schiffen in die Stadt und aus der Stadt auf die Schiffe gebracht wurden. Lautes Feilschen um die besten Preise, das Rufen der Marktschreier und das Schellen der Glöckchen von Straßenakrobaten erfüllte die Luft mit einer chaotischen Symphonie.
Arkan schloss die Augen, atmete tief ein und genoss das turbulente Leben um sich herum. Eine sanfte, kaum spürbare Berührung an seiner Geldkatze riss ihn aus seiner Träumerei. Beinahe schneller als ein Gedanke schnellte sein schlanker Dolch in seine Rechte, während seine Linke eine diebische Hand am Gelenk packte.
Ein dünner, elend aussehender Dieb starrte ihn entsetzt an.
"Lass los oder verlier deine Finger." sagte Arkan leise, während die scharfe Klinge seiner Waffe schon die Haut des Dreisten ritzte und einen ersten Blutzoll forderte.
Der Ertappte wand die Hand aus dem Griff, als hätte er ein Höllenfeuer berührt und entfloh jammernd in die Menge.
Arkan grinste und schob seine Klinge zurück in die Scheide.
"Ich habe Dir zu danken, König der Diebe, für eine Ausbildung, die eines Prinzen nicht unbedingt zur Ehre gereicht", sprach er schmunzelnd bei sich, als er an seinen alten Freund daheim in Cor Dhai denken musste.
Eine Zeitlang spazierte er noch durch die bunten Gassen der Stadt, als ein vernehmliches Grummeln seines Bauches ihn an ein grundsätzliches Bedürfnis erinnerte. Hunger und Durst, einfach die Lust am Essen und Trinken.
Beinahe wie von selbst lenkten ihn seine Schritte in eine Gaststätte, welche malerisch auf einer Steilküste thronte.
"Der fliegende Fryse" las Arkan laut den Namen des Hauses, bevor er eintrat.
"Na hoffentlich servieren sie hier auch etwas anderes als salzigen Stockfisch."

 

"Bei Moch, dieses Essen war wirklich eines Prinzen würdig", seufzte Arkan satt und zufrieden. Er angelte seine langstielige Pfeife aus seinem Rucksack, stopfte sie mit duftendem Tabak und entzündete sie. Wohlig sog er den würzigen Rauch ein und ließ ihn aus dem linken Mundwinkel quellen.
"Hey Wirt," rief er, "Euer Essen war vorzüglich, nun noch ein Krug kühlen Bieres und meine Wünsche sind beinahe restlos befriedigt."
Der Wirt lachte rau, als er einen Humpen füllte und diesen dann zu seinem Gast trug.
"Beinahe? Sprecht, was kann ich sonst noch für euch tun? Ich sage euch aber gleich, meine Töchter sind mir nicht feil."
"Keine Sorge," beruhigte ihn Arkan, "danach steht mir im Augenblick nicht der Sinn, obwohl ..."
Sein Blick wanderte bewundernd hin zu den zwei schönen Schankmaiden, welche kichernd ihre hübschen Gesichter hinter ihren Serviertableaux verbargen.
"Und ich muss sagen, noch besser hat es mir geschmeckt, da ich mich an einem Ort weiß, der nach einer alten Legende benannt ist. Einer Mär, die mehr Wahrheit innehat als ihr, liebe Leute, wohl glauben mögt."
"Ihr sprecht diese Geistergeschichte an? Die Saga vom fliegenden Frysen?" grinste der Wirt.
"Meine Mutter hat mir immer davon erzählt, um mich dazu zu bringen ins Bett zu gehen, wenn ich mal wieder nicht in die Kissen wollte. Und obendrein ist dieses Wirtshaus schon ewig im Besitz meiner Familie. Und so kann ich euch sagen, an dieser Erzählung ist genau so viel dran, wie ... wie …"
Er stammelte kurz, auf der Suche nach einem passenden Vergleich. "Jedenfalls ist es Seemannsgarn, wie es noch selten gesponnen wurde. Doch erzählt uns, wie Ihr sie vernommen habt. Einen frischen Krug Bier will es mir wert sein, " lockte der Wirt. Arkan grinste verschmitzt und setzte sich bequem hin.
"Dann füllt auf und lauschet", forderte der Mann aus dem Hügel den Wirt, nebst seinen Töchtern und die anderen Gäste auf, denn auch die restlichen Besucher des Lokals hatten neugierig ihre Stühle an den Tisch des Prinzen gerückt.

 

Mehr als 500 Jahre ist es nun her, als die Geschichte von der ich euch erzählen möchte, ihren Anfang, den Höhepunkt, aber beileibe noch nicht ihr Ende fand.
Es war eine Hafenstadt, ganz ähnlich der euren. Doch die Zeiten waren andere. Viele rastlose Gestalten prägten das Bild dieser Siedlung am Meer. Rassen sämtlicher Couleur und Gesinnung konnte man in engen Gassen sehen. Menschen, Halbelfen, manchmal sogar einem Bewohner Titanias oder noch fantastischeren Hominiden konnte man allenthalben begegnen. So auch in diesem lärmenden Städtchen.

 

Da war dieser kleine Mann, dunkel gewandet, einen schwarzen Kapuzenumhang über seine Schultern gezogen, der ihn vor den Unbillen des Wetters und allzu neugierigen Blicken schützte. Wenn der Wind kurz unter sein Cape fuhr, konnten aufmerksame Beobachter ein schlankes Schwert an der Hüfte des Kleinen sowie einen doppelschneidigen, scharfen Dolch erkennen.
Arkan, so will ich ihn nennen, war trotz seines geringen Wuchses mitnichten ein Zwerg. Vielmehr gehörte er einer Art an, welche auch zu jener Zeit eher selten auf Magira erkannt wurden. Er war ein Mocha, einer vom Volk unter den Hügeln, wie sie von Menschen oftmals nur hinter vorgehaltener Hand benannt wurden, aus Angst, sie aufgrund von Achtlosigkeit über sich zu rufen.
Aberglaube und Furcht begleiteten die Abkömmlinge dieses Volkes wie ein Schatten, standen sie doch im Rufe, Kinder aus den Wiegen zu stehlen und auch Moch, den Herrn der Toten, nicht nur zu verehren und ihm bisweilen abscheulichen Tribut zu bringen, sondern auch mit diesem Gott einträglich zu verkehren, ja ihn manchmal sogar als Freund zu bezeichnen.
Und dieser Arkan war nicht nur irgendeiner dieses unheimlichen Volkes, nein, er war sogar ihr Herrscher, ihr Prinz.
Ein eindringlicher Ruf, den nur ein Mocha vernehmen kann, eine nur für ihn sichtbare Spur hatte ihn an diesen Ort geführt.
Verhaltenes, unterdrücktes Weinen und Schluchzen, leiser noch als der Flügelschlag eines Schmetterlings, war sein Lotse gewesen, viele Tagesreisen lang.
Nun stand er am Liegeplatz einer großen frysischen Kogge. Das Handelsschiff wog träge in der sanften Dünung.
Die knarzenden Schiffsbohlen und das allgegenwärtige Geschrei der Möwen gellten in seinen feinen, spitzen Ohren. Doch konnten sie das verängstigte Kinderwimmern aus dem Laderaum des Schiffes für Arkan nicht übertönen.
Der Prinz spürte wachsenden Zorn in sich aufsteigen, als er die schmale Planke hinauf an Bord der Kogge stieg.
Misstrauische Blicke aus wettergegerbten, harten Gesichtern musterten ihn, doch ihn scherte es nicht.
Mit festem Schritt näherte er sich der vergitterten, schweren Ladeluke. Seine blauen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er in der Dunkelheit die menschliche Fracht erkannte. Mindestens hundert Kinder, Mädchen und Knaben zugleich, drängten sich furchtsam aneinander, suchten sich gegenseitig in dieser schrecklichen Lage Trost zu spenden, wo keiner war.
"Ich sehe Ihr interessiert Euch für unsere Ware", erklang eine heisere Stimme in seinem Rücken. Langsam erhob sich der kleine Mann und drehte sich um.
Ein großer hagerer Mann stand vor ihm. Angetan in einem prunkvollen Kaptänsgewand in tiefrot und samtenem Blau, gekrönt von polierten goldschimmernden Knöpfen.
"Mein Name ist Chur ter Haven," stellte er sich vor und deutete eine Verbeugung an. "Und dies ist Kuulun, mein Zauberer. Er ist mein Partner."
"Partner in finsteren Geschäften, möchte ich wetten," sprach Arkan, sich nur mühsam beherrschend.
"Chur ter Haven, Dir ist bewusst, dass er ein Nekromant ist?"
Dies stieß Arkan wie einen Fluch hervor.
Der Zauberer lächelte mit blassen, blutleeren Lippen und entblößte zwei gelbe, fleckige Zahnreihen.
"Und Ihr, mein kleiner Freund, seid ein Mochta, ich spüre den Tod in Eurer Nähe, und es fühlt sich gut an. Wir haben viel gemein ..."
"Es heißt Mocha, und wir haben nichts gemein, Zauberer. Du versuchst, Dir die Toten, den Tod zu Diensten zu machen, während ich gelernt habe, mit ihm zu leben und ihn zu akzeptieren." zischte er.
Der frysische Kaptän mischte sich nun wieder ein.
"Ich denke, ihr beide habt genug Freundlichkeiten ausgetauscht, kommen wir zum Geschäft."
Gierig rieb er sich seine großen Hände.
"Ich sehe, Ihr seid an den Sklaven interessiert. Was ist euch einer der Burschen wert? Sie sind alle gesund und werden lange durchhalten, auch wenn Ihr sie in eine Mine steckt."
"Sie werden alle mit mir kommen", sagte Arkan.
"Alle, ohne Ausnahme und das heute noch."
"Dann sollten wir das Geschäftliche in meine Kabine verlegen," grinste der Menschenhändler und wies, übertrieben freundlich, den Weg zu einer prächtigen Tür auf dem Achterkastell.
Der Fryse schenkte scharfen Schnaps in kleinen Bechern aus.
Arkan nippte an dem Gebräu und dachte nach. Es wäre ein Leichtes für ihn, die Kinder dem Frysen zu entziehen. Nun, der Nekromant verfügte über nicht gerade geringe Kräfte, aber auch dies traute er sich zu.
Nein hier ging es um mehr, er wollte strafen, Rache nehmen und auch ein wenig Spaß haben.
Er sah in die braune Flüssigkeit seines Bechers.
"Was hattet Ihr euch vorgestellt, Kapitän?" fragte er gefährlich leise.
Bevor dieser antworten konnte, ergriff Kuulun das Wort. "Bedenkt, Chur ter Haven. Er ist einer des Hügelvolkes und die sind unermesslich reich, aber all das zählt nichts gegen die Gabe, die sie von ihrem dunklem Herrn erhalten haben. Sie sind nicht länger mehr der Sterblichkeit unterworfen. Dies ist kostbarer als jeder Schatz. Verlangt für uns die Unsterblichkeit, und ..." er kicherte, "… auch Gold, denn ein unsterbliches Leben will ebenso finanziert sein."
Das Grinsen des hageren Frysen war breit, als er seine Forderung stellte.
"So will ich für mich, den Zauberer und meine Mannschaft das ewige Leben und 50.000 Goldringe als Auslöse für die Bälger im Bauche meines Schiffes. Und keine Tricks, keine Hinterpforte, verstanden?"
Arkan lächelte wölfisch. Dann hob er grüßend den Becher in Richtung der beiden und leerte ihn in einem Zug. Seine Gegenüber taten es ihm gleich, das Geschäft war besiegelt.
"Doch eines noch, bevor ich zur Erfüllung meines Anteils komme. Ich möchte, dass die Mannschaft Aufstellung nimmt und ich werde ihnen mitteilen, dass mächtiger Zauber sie treffen wird. Diejenigen, die es nicht wollen, sollen die Möglichkeit haben, frei zu entscheiden und das Schiff verlassen zu können."
So geschah es auch.
Einzig und allein der Schiffsjunge, Bran mit Namen, entschied sich zu gehen. Unter Hohngelächter verließ er mit hängenden Schultern, nur mit seinem Besitz in einem schmuddeligen Seesack, die Kogge.
Dann befahl Chur ter Haven, nach Anordnung Arkans, das Ablegen und den Kurs auf die offene See.
Nach wenigen Stunden legte sich mit einem Mal der Wind. Die Nacht war hereingebrochen. Arkan begab sich an den Bug des Schiffes. Er erklomm den Sprit und sah angestrengt in die Dunkelheit. Der volle Mond trat hervor und ergoss sein silbernes Licht über die Szenerie.
"Was für Formeln werdet ihr sprechen? Welche Ingredenzien werdet ihr nutzen?" wisperte Kuulun, der Nekromant.
Beinahe mitleidig traf ihn der Blick des Prinzen der Tuach na Moch.
"Du hast nichts verstanden, nicht wahr, Zauberer? Ich zitiere Moch nicht zu mir, wie könnte ich es auch wagen? Ich bitte ihn, zu mir zu kommen."
"Und wie kannst Du sicher sein, dass er kommt, Mochta?"
Arkan wollte ihn gerade erneut ob des Namens verbessern, entschied sich aber dagegen.
"Ganz einfach, Nekromant, ich weiß es nicht, aber ich denke, er wird kommen."
"Wenn nicht, dann werdet ihr es bereuen," grinste der Fryse und strich bedeutungsvoll über den Rücken seiner scharfen Enterklinge.
Mit einem Mal war er da. Der finstere Nebel. Wie mit langen, gierigen Fingern ergriff er den Rumpf der Kogge. Schlängelte sich empor, kroch in Ritzen. Jegliches Geräusch erstarb.
Da kam über den Nebel eine Barke, Ja, beinahe schwebte sie herbei. Gesteuert wurde sie von einer in fließendem Schwarz gewandeten Gestalt. Lautlos ging das kleine Schiff längsseits. Dann entfaltete der Finstere zwei mitternachtsfarbene Nebelschwingen und er flog lautlos auf das Deck.
Arkan verbeugte sich artig.
"Herr ich danke Euch für Euer Kommen. Ihr wisst um das, was ich erbitte, Herr?"
Eine tiefe Stimme, väterlich, beängstigend, warmherzig und auch eiskalt fuhr in die Glieder, in den Geist sämtlicher Anwesenden.
"Was für ein Gott wäre ich wohl, wenn ich es nicht schon längst wüsste?"
"So ist der Tod aufgehalten?"
"Ich habe keine Macht mehr hier."
Ter Haven lachte heiser.
"Wie soll ich sicher sein, dass Ihr mich nicht belügt? Erzählen könnt Ihr viel. Ich brauche einen Beweis."
Arkan lächelte böse, dann zog er seinen schlanken Dolch und mit dem Daumennagel prüfte er langsam die Schneide.
"Du willst einen Beweis?"
Und schneller, als das Auge es zu sehen vermag, wirbelte er herum, die tödliche Klinge flirrte durch die Dunkelheit und senkte sich tief in die Brust des Nekromanten. Dieser starrte ungläubig auf die Waffe, die in seiner Brust steckte, und sackte mit einem Röcheln in sich zusammen.
Ter haven spie aus.
"Ist das euer Beweis, ein toter Zauberer?"
Arkans Lippen umspielte ein feines Lächeln, als er sich hinunter zu Kuulun beugte. Er ergriff seine Klinge und mit einem Ruck zog er sie aus der eigentlich tödlichen Wunde.
"Steht auf! Ihr seid nicht tot."
Er ergriff die Hand des Mannes und riss ihn auf die Füße.
Ungläubig betastete Kuulun seine Brust.
"Keine ... keine Wunde," stammelte er.
"Ich sage doch, der Tod ist Geschichte für Euch," grinste Arkan breit.
"Nun zur Erfüllung eures Teils."
Der Fryse winkte und 100 Kinder, schmutzig und in Lumpen gehüllt, wankten verängstigt an Deck.
Arkan nickte der dunklen Gestalt Mochs zu.
Dieser öffnete seinen wallenden Mantel und aus dem schwarzen Stoff entschlüpfte eine Kindergestalt. Freundlich, doch mit unendlich traurigen Augen.
Moch hob beide Arme und ein Strudel begann, sich vor dem Schiff auszubilden. Aus dem rauschenden Fluten erschien ein Schimmern. Eine goldene Stiege, hinab in ein Leuchten, formte sich aus dem Nichts, in der Ferne konnte man die schlanken Türme einer Stadt erkennen.
Das von Moch geholte Kind, oder war es ein Teil seiner selbst, tanzte vor der Schar der Kinder und führte sie durch die Fluten in die Anderswelt der Tuach na Moch.
Als sich die Wasser hinter ihnen schlossen, wurde auch die Gestalt des Gottes durchscheinend und löste sich im Nebel auf.
Arkan stellte sich an den Bug, wandte sich dem Frysen und dem Zauberer entgegen.
"Hey, Nekromant," spottete er, "Ihr fragtet doch nach einer Formel? Hier habe ich eine für euch.

 

"Dem grimmigen Tod
Ihr wolltet entrinnen?
Magie und Zauber
ihr brachtet herbei
es tat seine Wirkung,
ihr wart wie von Sinnen
doch euer Wunsch
war einerlei
Der Tod wird nicht kommen
wie versprochen
die Zeit wird nagen
an eurem Gebein
der Traum der Jugend,
er ist zerbrochen
Ihr altert bis ihr
nur noch seid Pein"

 

Arkan lachte laut auf.
"Zwar war es keine magische Formel, doch danke ich euch für euer wertes Ohr. Ihr trachtetet danach, mit dem Tod selbst zu handeln? Sagt mir, wie vermessen oder wie dumm kann man denn nur sein?
Oh, das Gold! Das sollt ihr natürlich bekommen. Doch nicht alles auf einmal.
Alljährlich werdet Ihr den Weg an ein Ufer finden. Dort werde ich, oder ein anderer, Euch erwarten und Euch in Raten entlohnen. Sagen wir 10 Goldringe pro Jahr? Da habt ihr etwas, worauf Ihr euch freuen könnt ..."
Er zeichnete böse kichernd einen Kreis in die Luft. Dort, wo seine Finger die Nacht berührten, zogen sie eine gleißende Spur. Noch einmal winkte er ihnen spöttisch zu dann trat er hindurch und flirrte aus der Realität in sein Reich unter dem Hügel.
Mit Entsetzen erkannten die Männer ihren furchtbaren Fehler. Doch es war zu spät. Der Fluch traf sie mit all seinem Schrecken. Schon spürten sie, wie das Altern, der Zerfall mit klammen Klauen nach ihnen griff.
Ihren Kehlen entrang sich ein schauerliches, verzweifeltes Heulen, als das verfluchte Schiff im wallenden Nebel ins Düster der Nacht entschwand. Verloren für die Lebenden und auch nicht fähig, zu den Toten zu gelangen.

 

Arkan beendete seine Mär. Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Krug und schmatzte genießerisch.
"Oh übrigens, ihr lieben Leute," sagte er so, als würde er über das Wetter plaudern, "der Ort des Geschehens, wenn ihr es nicht schon längst erahnt habt, war genau dieser hier.
Ja, vor 500 Jahren, genau auf den Tag, nahm die Legende des fliegenden Frysen ihren Anfang und begann, Angst und Schrecken zu verbreiten. Und ihr, Wirt, auch Ihr seid ein Teil der Geschichte."
Arkan lächelte verschmitzt, als er den fragenden Blick des Mannes sah.
"Der Schiffsjunge, der dem Drama entging, beschloss der See zu entsagen und errichtete ein Wirtshaus. Und ihr seid sein Nachfahr."
Arkan erhob sich und sah nach draußen. Der Mond lugte durchs Fenster und sein Licht verzauberte die Nacht.
Der Mocha nestelte an seiner Börse und warf zwei blankpolierte Goldringe auf den Tisch.
"Dies sollte für meine Zeche ausreichen. Ich habe heute Nacht noch einen Auftrag zu erfüllen."
Er öffnete die Tür und trat hinaus in die Dunkelheit.
Kurz entschlossen riss sich der Wirt die Schürze vom Bauch, wies seine Zwillingstöchter an, sich um die Gäste zu kümmern und folgte dem Kleinen.

 

Arkan hatte den Strand erreicht. Die Natur selbst schien zu spüren, dass etwas Unerhörtes, etwas Unheiliges bevorstand. Nur das Rauschen der Wellen war zu hören.
Dann wallte Nebel auf, und ein unheimlicher Ton erfüllte alles um ihn herum. Ein Heulen, gleich dem Klagen auf Ewig verlorener Seelen.
Da schälte sich aus dem Dunst der Schatten einer alten riesigen Kogge heraus. Die Segel hingen in Fetzen hinab, morsche Seile klatschten gegen den von Nässe und Fäulnis glänzenden Mast.
Vom Rumpf des Schiffes löste sich ein kleines Boot. Gelenkt wurde es von einer hageren Gestalt, angetan in einem wallenden Umhang, welcher aus der Nacht garselbst gemacht schien.
Der Prinz verbeugte sich ehrerbietig.
"Moch, mein Herr, Ihr seid gekommen, wie es der Vertrag verlangt. Ich danke euch. Und Ihr Wirt," sagte er ohne den Blick von seiner Gottheit zu wenden, "tretet hervor. Ich habe euch längst gesehen."
Der Angerufene verließ zitternd sein Versteck und stellte sich zu Arkan.
"Wer ist er?" wisperte er.
"In deinen Träumen hast du ihn schon bestimmt gesehen," antwortete der Mocha.
"Vor dir steht Moch, der Tod, der Hohler der Seelen. Aber auch mein Gott, dem ich treu ergeben bin.
Komm Wirt, wir haben Geschäfte an Bord zu tun."
Später wusste der Wirt nie zu sagen, welcher Teufel ihn geritten hatte, aber er folgte der Aufforderung Arkans, betrat mit ihm den schwankenden Nachen und ließ sich vom Tod persönlich zu dem Handelsschiff übersetzen.
Das Deck war glitschig vor Nässe und Schimmel. Schaudernd erkannte der Mensch auf dem Boden liegende Körper, verkrümmt wie in Agonie.
"Sind das die toten Männer der Besatzung?" fragte er leise und seine Stimme zitterte.
"Nein, sie sind nicht tot und ja, sie hatten hier angeheuert."
"Nicht tot?" würgte der Wirt hervor.
"Ja, sieh, ihre Augen verraten sie."
Er betrachtete eines der Mumiengesichter genauer und erschrak. Deutlich bemerkte er die Bewegung der Augen und ein leises Röcheln fuhr über spröde, trockene Lippen.
"Dieser ist es nicht, der uns interessiert. Er ist nur ein armer Teufel, der vor 500 Jahren dem falschen Kapitän diente.
Diejenigen, welchen unser Besuch gilt, sollten sich in der Kapitänskajüte befinden. Ich glaube, sie haben sich in den letzten 300 Jahren nicht eine Elle weit bewegt."
Sie öffneten die Tür zur Kaptänskajüte und muffige, brackige Luft schlug den Männern entgegen. In der Koje lag hingestreckt der dürre Körper eines großen Mannes. Der feuchten Umgebung zum Trotz wirkte er vertrocknet und ausgemergelt. Gekleidet war er in eine vormals prächtige Uniform.
Am Tisch in einem Sessel saß zusammengesackt ein etwas kleinerer Mann. Die Reste der Roben, die seinen Körper verhüllten, waren auch einst kostbar gewesen. Nun waren sie nicht mehr als Lumpen, in denen einige Edelsteine blitzten.
Arkan trat zu dem Liegenden. Eine heftige Reaktion schüttelte den uralten Körper durch. Böse funkelnde Augen starrten den Mann aus dem Hügel an.
"Ich grüße Euch, Chur ter Haven. Wie jedes Jahr bin ich gekommen, meine Schuld zu begleichen und auch nach eurem Befinden zu sehen."
Er stellte ein Säckchen mit klimperndem Gold auf den kleinen Tisch.
"Zählt nach," forderte er ihn auf.
"Ach, ich vergaß," schlug sich Arkan selbst vor die Stirn.
"Ihr habt seit einiger Zeit ein Problem, Euch zu bewegen. So werdet ihr mir schon vertrauen müssen."
Er hielt kurz inne.
"Bei Vertrauen fällt mir ein ... Ihr schuldet immer noch einem Schiffsjungen die Heuer."
Er öffnete die Truhe neben der Koje des Kapitäns. Warf einen Blick hinein und förderte einen prall gefüllten Sack mit Münzen und Geschmeide zutage.
"Ich denke das dürfte eure Schulden nebst den Zinsen begleichen. Hier, fangt auf, Wirt. Da es euer Ahn war, geht dies wohl als Erbe an euch."
Der Mensch fing den Beutel wie im Traum. Unfähig, den Blick von der unheiligen Szenerie zu nehmen.
Ein gezischtes Murmeln vom Tisch lenkte kurz die Aufmerksamkeit Arkans auf den dort Kauernden.
"Auch Euch mein Gruß, werter Nekromant. Und ich glaube, ihr werdet es nie lernen, es heißt Mocha, nicht Mochta!
Meine Aufgabe für diese Nacht ist getan und mit Euch, Herr Wirt, habe ich am Strand noch etwas zu klären. Ein Geschäft."
Im Hinausgehen wandte sich Arkan noch einmal in den Innerraum.
"Da ist etwas, was ich euch schon immer einmal sagen wollte, werter Chur ter Haven. Euer Schiff ist fürwahr ein richtiger Seelenverkäufer."
Lachend ließ er die Pforte ins Schloss fallen.

 

Lange blickten die beiden noch auf den Punkt, an dem eben vor unendlichen Herzschlägen das Schiff des Frysen in die Nacht verschwunden war.
"Wirt," Arkan stutzte, "hm, verzeiht, aber wie ist eigentlich euer Name?"
"Man ruft mich Dietmar," antwortete er, "Dietmar Wagenmacher."
"Nun Dietmar Wagenmacher. Hier ist das Geschäft, von dem ich sprach. Jedes Jahr muss die Schuld von 10 Goldringen beim Frysen eingelöst werden. Nehmt an, und Ihr und eure Familie, werter Dietmar Wagenmacher, werdet nie mehr Mangel und Not leiden. Ja, sogar wohlhabend, wenn nicht gar stinkreich, werdet ihr sein, wenngleich eure Nachbarn und alle anderen euch zumindest für wunderlich halten werden.
Und erzählt den beiden immer etwas Nettes. Sie freuen sich doch jedes Jahr so drauf.
Also, Dietmar, schlagt ihr ein?"

 

Beide Mädchen ließen zur gleichen Zeit ihre Servierplatten fallen. Klirrend zersprangen zwei Krüge und ein Teller auf dem steinigen Boden.
"Vater," rief Gundula, "was ist mit euch geschehen? Euer Haar? Es ist ... schlohweiß?"

 

Die Jahre vergingen, nichts hielt sie auf. Aus den Wagenmachern war eine wohlhabende Familie geworden, auch wenn sie von vielen oftmals schräg angesehen wurden. Natürlich wenn keiner der Wagenmachers anwesend war.
Nur einmal noch gab es weitere Gerüchte über die angesehene Familie, Jahre später, Dietmar war nun ein alter Mann, verlor auch Gundula, seine schöne Tochter, über Nacht die Farbe ihrer Haare. Wie ein Zauber war es, am Vortag noch kastanienbraun, leuchteten sie am nächsten Morgen weiß, gleich denen ihres Vaters.
Und der Reichtum verließ niemals die Dynastie der Wagenmacher.

 

Ende

 

Trau dem Mocha nicht, wenn er Geschenke bringt
Arkan e'dhelcú
E. Schramm

 

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Stand:26.01.2012